Deutsche Studie

Wie Bauernhöfe vor Asthma im Kindesalter schützen

Leben auf dem Bauernhof fördert die Reifung des Darmmikrobioms bei Kindern im ersten Lebensjahr. Einer aktuellen Studie zufolge könnten Darmbakterien, die kurzkettige Fettsäuren produzieren, zum Schutz vor Asthma beitragen.

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Besuch im Kuhstall: Bauernhofkinder kommen offenbar mit Umweltfaktoren, wahrscheinlich Mikrobiota, in Berührung, die mit ihrem Darmmikrobiom interagieren und den Schutz vor Asthma herbeiführen.

Besuch im Kuhstall: Bauernhofkinder kommen offenbar mit Umweltfaktoren, wahrscheinlich Mikrobiota, in Berührung, die mit ihrem Darmmikrobiom interagieren und den Schutz vor Asthma herbeiführen.

© splendens / stock.adobe.com

München. Bauernhofkinder haben bekanntlich ein geringeres Asthmarisiko als Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben. Die Mechanismen, die hinter dieser Schutzwirkung stehen, sind nicht vollständig bekannt. Forscher des Helmholtz Zentrums München und des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der Universität München haben nun geklärt, wie das Darmmikrobiom von Kindern an diesem Schutzprozess beteiligt ist.

Ab dem Zeitpunkt der Geburt sind wir ja einer Umwelt voller Mikrobiota ausgesetzt. In den ersten Minuten und Stunden unseres Lebens beginnen sie unser Immunsystem herauszufordern, es aber auch zu trainieren, erinnert das Helmholtz Zentrum München (HZM). Das größte Immunorgan ist unser Darm, weshalb die Reifung des Immunsystems untrennbar mit der Reifung der kolonisierenden Bakterien, dem Darmmikrobiom, verbunden ist.

Nach tiefgreifenden Veränderungen im ersten Lebensjahr, dem Reifungsprozess, stabilisiert sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms allmählich und begleitet uns ein Leben lang. Frühere Studien der Münchner Wissenschaftler zeigten, dass ein vielfältiges Umweltmikrobiom zu einer Schutzwirkung vor Asthma führt, die besonders bei Bauernkindern ausgeprägt ist, teilt das HZM mit.

Die Forscher untersuchten nun, ob dieser Effekt auf den Reifungsprozess des Darmmikrobioms bei Kindern zurückzuführen sein könnte.

Stuhlproben von mehr als 700 Kindern analysiert

Dazu analysierten die Forscher Stuhlproben von mehr als 700 Kindern im Alter von zwei bis zwölf Monaten, die teilweise auf traditionellen Bauernhöfen aufwuchsen (Nature Medicine 2020; online 2. November).

„Wir stellen fest, dass ein vergleichsweise großer Teil der Schutzwirkung des Bauernhofs vor Asthma im Kindheitsalter auf die Reifung des Darmmikrobioms im ersten Lebensjahr zurückzuführen ist“, wird Dr. Martin Depner, Biostatistiker am Helmholtz Zentrum München, in der Mitteilung zitiert. Dies deute darauf hin, dass Bauernhofkinder mit Umweltfaktoren, wahrscheinlich Mikrobiota, in Berührung kommen, die mit ihrem Darmmikrobiom interagieren und diesen Schutzeffekt herbeiführen.

Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Ernährung zur Reifung des Darmmikrobioms beiträgt. Sie waren jedoch überrascht, dass bauernhofspezifische Einflüsse wie der Aufenthalt in Tierställen einen starken Einfluss auf die Reifung hatten.

Umwelt spielt eine Rolle

Dies bestätigt, dass die Umwelt, in der man aufwächst, eine Rolle für die Schutzwirkung vor Asthma im Kindesalter spielt, heißt es in der Mitteilung. Für die Zeit der ersten zwei Lebensmonate trugen eine vaginale Geburt und Stillen des Kindes ebenfalls zur Schutzfunktion des Mikrobioms bei.

Außerdem stellten die Forscher eine inverse Assoziation von Asthma mit der gemessenen Konzentration von Butyrat im Stuhl fest. Butyrat ist eine kurzkettige Fettsäure, von der bekannt ist, dass sie bei Mäusen eine asthmaschützende Wirkung hat.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Darmbakterien wie Roseburia und Coprococcus, die kurzkettige Fettsäuren produzieren, auch bei Menschen zum Asthmaschutz beitragen könnten. Kinder mit ausgereiftem Darmmikrobiom wiesen im Vergleich zu anderen Kindern eine höhere Menge an Roseburia- und Coprococcus-Bakterien auf.

Prävention mit Probiotika im ersten Lebensjahr?

„Unsere Studie liefert weitere Hinweise darauf, dass der Darm einen Einfluss auf die Gesundheit der Lunge haben kann. Die Atemwege der untersuchten Kinder wurden durch ein ausgereiftes Darmmikrobiom mit einem hohen Gehalt an kurzkettigen Fettsäuren geschützt. Dies spricht für die Idee einer relevanten Darm-Lungen-Achse beim Menschen“, sagt Professor Markus Ege vom Dr. von Haunerschen Kinderspital.

Das bedeute aber auch, dass ein unreifes Darmmikrobiom zur Entstehung von Krankheiten beitragen könne. Umso wichtiger seien Präventionsstrategien im ersten Lebensjahr, wenn das Darmmikrobiom noch leicht beeinflusst werden kann.

Die Studie zeigt weiterhin, dass es kein einziges Bakterium gibt, das alleine für den Asthmaschutz verantwortlich ist. Vielmehr ist die Reifung des gesamten Darmmikrobioms der Schlüsselfaktor, so das HZM. Diese Erkenntnis stelle den Einsatz einzelner Bakterien als Probiotika zur Asthma-Prävention in Frage. Vielmehr sollten Probiotika im Hinblick auf ihre nachhaltige Wirkung auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms und dessen Reifung geprüft werden.

Ernährungsspezifische Aspekte der Studie könnten für Präventionsstrategien genutzt werden, zum Beispiel Kuhmilch. Unverarbeitete Rohmilch könne jedoch wegen des Risikos lebensbedrohlicher Infektionen wie EHEC nicht empfohlen werden. Wissenschaftler des Dr. von Haunerschen Kinderspitals führen derzeit eine klinische Studie über die Auswirkungen von minimal verarbeiteter, aber mikrobiologisch sicherer Milch zur Vorbeugung von Asthma und Allergien durch (MARTHA-Studie). (eb/ikr)

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