„Tauopathien“

Wie Demenz entsteht

Forscher haben eruiert, wie Entzündungsvorgänge die Entwicklung neurodegenerativer Hirnerkrankungen vorantreiben.

Veröffentlicht:
Modell von Nervenzellen: Forscher kommen der Entstehung von Alzheimer immer weiter auf die Spur.

Modell von Nervenzellen: Forscher kommen der Entstehung von Alzheimer immer weiter auf die Spur.

© psdesign1 / Fotolia

Bonn. Entzündungsvorgänge treiben die Entwicklung neurodegenerativer Hirnerkrankungen voran und sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich in den Nervenzellen Tau-Proteine anhäufen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam unter Federführung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Universität Bonn (Nature 2019; 575: 669–673).

Die Befunde beruhen auf Studien an menschlichem Hirngewebe und weiteren Laboruntersuchungen. Im speziellen Fall von Alzheimer offenbaren die Ergebnisse eine bislang unbekannte Verbindung zwischen Aβ- und Tau-Pathologie, heißt es in einer Mitteilung des DZNE und der Universität Bonn.

Was passiert mit den Tau-Proteinen

Tau-Proteine stabilisieren für gewöhnlich das Gerüst der Nervenzelle. Doch bei der Alzheimer-Erkrankung, der Frontotemporalen Demenz (FTD) und anderen „Tauopathien“ werden diese Proteine chemisch verändert, sie lösen sich vom Zellskelett und verkleben miteinander. Die mechanische Stabilität kann dadurch soweit beeinträchtigt werden, dass die Zelle abstirbt. Die „Tau-Pathologie“ versetzt der Nervenzelle gewissermaßen den Todesstoß.

Die aktuelle Studie liefert nun neue Erkenntnisse darüber, warum sich die Tau-Proteine verwandeln. Eine treibende Kraft sind demnach Entzündungsprozesse, die vom Immunsystem des Gehirns ausgelöst werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei das „NLRP3 Inflammasom“, ein Proteinkomplex, der in den Immunzellen des Gehirns angesiedelt ist. Es handelt sich um einen molekularen Schalter, der die Freisetzung entzündungsfördernder Substanzen auslösen kann. Für die aktuelle Studie untersuchten sie nun Gewebeproben aus den Gehirnen verstorbener FTD-Patienten, Zellkulturen von Hirnzellen und Mäuse mit Krankheitsmerkmalen, die für Alzheimer und FTD typisch sind.

Das Inflammasom beeinflusst insbesondere Enzyme, die eine sogenannte Hyperphosphorylierung der Tau-Proteine herbeiführen, stellten die Wissenschaftler fest. Diese chemische Veränderung bewirkt letztlich, dass sich die Proteine vom Zellgerüst abtrennen und verklumpen. Das gilt speziell für die Alzheimer-Erkrankung. Ein weiterer Akteur kommt dabei ins Spiel: „Amyloid-Beta“ (Aβ). Auch dieser Eiweißstoff sammelt sich bei Alzheimer im Gehirn an. Anders als bei den Tau-Proteinen geschieht dies jedoch nicht innerhalb, sondern zwischen den Nervenzellen. Außerdem beginnt die Ablagerung von Aβ schon in einer frühen Phase der Erkrankung, während die Aggregate aus Tau-Proteinen erst im späteren Verlauf auftreten.

Amyloid-Kaskaden-Hypothese unterstützt

In vorherigen Studien konnten Professor Michael Heneka, Direktor der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie der Universität Bonn und Arbeitsgruppenleiter am DZNE, und Kollegen nachweisen, dass das Inflammasom die Aggregation von Aβ fördern kann. Hier schließt sich nun der Kreis zu den jüngsten Befunden. „Unsere Ergebnisse stützen die Amyloid-Kaskaden-Hypothese für die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung. Demnach führen die Ablagerungen von Aβ letztlich zur Entstehung der Tau-Pathologie und damit zum Zelltod“, wird Heneka in der Mitteilung zitiert. „Unsere aktuelle Studie zeigt, dass das Inflammasom das entscheidende und bislang fehlende Bindeglied in dieser Reaktionskette ist, denn es vermittelt die Entwicklung von der Aβ- zur Tau-Pathologie. Es reicht gewissermaßen den Staffelstab weiter“.

Demzufolge aktivieren Ablagerungen von Aβ das Inflammasom. Infolgedessen wird einerseits die Entstehung weiterer Aβ-Ablagerungen gefördert. Anderseits kommt es zu chemischen Veränderungen an den Tau-Proteinen und zu deren Verklumpung. (eb)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Was tun, wenn der Therapieplatz auf sich warten lässt?

© portishead1 | Getty Images (Symbolbild mit Fotomodell)

Depressionen bei Kindern

Was tun, wenn der Therapieplatz auf sich warten lässt?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Diagnostik: Frühjahrsmüde oder doch schon eine Depression?

© LuckyBusiness | iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Ständig müde

Diagnostik: Frühjahrsmüde oder doch schon eine Depression?

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Wissen rund um Depression jetzt auch auf medbee

© Bayer Vital GmbH

Die Springer Medizin App

Wissen rund um Depression jetzt auch auf medbee

Anzeige | Bayer Vital GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Freisetzung von Neurofilamenten aus geschädigtem Axon

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

Serum-Neurofilament-Leichtketten: Nutzen für die Praxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Abb. 1: Primäre Endpunkte LPS und WASO der Zulassungsstudien

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [7]

Chronische Insomnie

Langfristig besser schlafen mit Daridorexant

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Idorsia Pharmaceuticals Germany GmbH,
Schübe und Krankheitsprogression kontrollieren – unter Erhalt der Immunkompetenz

© Hank Grebe / stock.adobe.com

Schubförmige Multiple Sklerose in ZNS und Peripherie behandeln

Schübe und Krankheitsprogression kontrollieren – unter Erhalt der Immunkompetenz

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Merck Healthcare Germany GmbH, Weiterstadt
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview zur Bräunungssucht

Gebräunte Haut: Wann eine Tanorexie dahinter steckt

Lesetipps
Positiver Schwangerschaftstest: Manche Frauen fürchten sich stark vor diesem Moment. Gedanken an eine Schwangerschaft und/oder Geburt lösen bei ihnen panische Angst aus.

© globalmoments / stock.adobe.com

Spezifische Angststörung

Was ist eigentlich Tokophobie?