Kommentar
Verhängnisvolle Empfehlungen
Es ist verständlich, dass sich Ärzte an jeden Strohhalm klammern, wenn sie das tägliche Sterben in den Kliniken sehen – die Bilder aus Italien, Spanien und New York machen deutlich, dass selbst im 21. Jahrhundert die Medizin einem neuen Virus fast machtlos gegenübersteht. In solchen Situationen wird alles versucht, auch Medikamente wie Chloroquin, von denen niemand so genau weiß, ob sie mehr nützen oder schaden.
Das ist legitim, solange nicht wichtige Errungenschaften der heutigen Medizin über Bord geworfen werden. Dazu zählen etwa randomisiert-kontrollierte Studien, die eindeutig belegen können, ob eine Intervention erfolgreich ist oder eben nicht. Wer hingegen aufgrund einiger anekdotischer Beobachtungen, kleiner Fallserien oder schlicht auf gut Glück problematische Medikamente an schwer kranke Patienten verteilt, handelt nicht nur fahrlässig, sondern verwirft auch das Instrumentarium, das der modernen Medizin die Macht gibt, Herausforderungen wie die derzeitige Pandemie zu meistern.
Da noch viele Menschen ernsthaft an COVID-19 erkranken werden, ist es enorm wichtig, Interventionen auf ihren Nutzen und Schaden zu prüfen – mit den Methoden, die genau dafür entwickelt wurden. Eine randomisiert-kontrollierte Studie hat dies erstmals für das bereits häufig eingesetzte Chloroquin getan – mit dem Resultat, dass eine Hochdosisbehandlung die Patienten vor allem einem hohen kardialen Risiko aussetzt. Man mag sich nicht ausmalen, wie viele Menschen auch aufgrund solcher Therapien und nicht allein durch das Virus ihr Leben verloren haben. Die Studie ist daher eine Warnung für alle, die glauben, es gäbe eine Abkürzung auf dem Weg der Erkenntnis.
Im Mittelalter haben weder Aderlass noch Kräuterkunde die Pest vertrieben – das sollte jenen zu denken geben, die auch heute noch ungeprüfte Heilmittel gegen eine Epidemie empfehlen.