Zum 150. Geburtstag

Für Lydia Rabinowitsch-Kempner waren Tuberkelbazillen Fluch und Segen

Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871-1935) war erfolgreiche Tuberkulose-Forscherin und Berlins erste Frau mit Professorentitel. In diesen Tagen jährt sich ihr 150. Geburtstag. Ein Porträt.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Lydia Rabinowitsch-Kempner bei Laborarbeiten im Krankenhaus Berlin-Moabit (um 1920).

Lydia Rabinowitsch-Kempner bei Laborarbeiten im Krankenhaus Berlin-Moabit (um 1920).

© ullstein bild / picture alliance

Berlin. Ein gewöhnliches Stück Butter gibt ihrer Karriere mächtig Auftrieb: 1895 erhält die damals 24-jährige Bakteriologin Lydia Rabinowitsch-Kempner von Deutschlands Infektiologen-Papst Robert Koch den Auftrag, die im Berliner Handel befindliche Butter auf Tuberkelbazillen zu untersuchen. Bis dahin liegen erst vier Untersuchungen dazu vor – nichts Genaueres ist herausgekommen.

Auch Lydia Rabinowitsch-Kempner braucht mehrere Anläufe und Analysen. 1897 gelingt ihr schließlich der entscheidende Nachweis: Butter und Rohmilch sind häufig mit Tuberkelbazillen verunreinigt – und können damit auch Tuberkulose beim Menschen verursachen.

Unzähligen das Leben gerettet

Vielen, vor allem Säuglingen, habe die Erkenntnis fortan das Leben gerettet, sagt die Berliner Ärztin und Rabinowitsch-Biografin Dr. Katharina Graffmann-Weschke. Die Arbeiten von Rabinowitsch-Kempner hätten maßgeblich dazu beigetragen, ein Pasteurisierungsverfahren zu entwickeln, „mit dem keimfreie Milch und keimfreie Milchprodukte hergestellt werden konnten“.

Sie war keine Ärztin und wurde dennoch eine der führenden Wissenschaftlerinnen in der Medizin ihrer Zeit.

Dr. Katharina Graffmann-Weschke Ärztin und Rabinowitsch-Kempner- Biografin

„Eine tolle Persönlichkeit“ sei Rabinowitsch-Kempner gewesen, findet Graffmann-Weschke. Eine Frau, die mit Professionalität, Mut und Neugier überzeugt und in einer Männerwelt „auf Augenhöhe“ mit Robert Koch, Paul Ehrlich oder Emil von Behring gearbeitet habe. „Sie war keine Ärztin und wurde dennoch eine der führenden Wissenschaftlerinnen in der Medizin ihrer Zeit“, betont Graffmann-Weschke.

Zum Studium in die Schweiz

Dass es so kam, war alles andere als selbstverständlich im ausgehenden 19. Jahrhundert. Doch Lydia Rabinowitsch-Kempner hat sich hoch gebissen: Im Jahr 1871 kommt sie als jüngste Tochter einer kinderreichen jüdischen Brauereifamilie in der damaligen russischen Grenzstadt Kowno – das heutige Kaunas in Litauen – zur Welt.

Nach dem Schulabschluss geht sie in die Schweiz, wo – anders als in weiten Teilen Europas – auch Frauen studieren dürfen. Sie entscheidet sich für die beiden Fächer Zoologie und Botanik und promoviert mit einer Arbeit über die Entwicklungsgeschichte von „Fruchtkörpern einiger Gastromyceten“.

Arbeit als unbezahlte Assistentin

1894 zieht sie nach Berlin, arbeitet als unbezahlte Assistentin am Institut für Infektionskrankheiten – dem heutigen Robert-Koch-Institut. Rabinowitsch arbeitet Jahre lang mit Koch, Behring und den anderen zusammen, gehört zum inneren Zirkel dazu. Kurze Zeit später geht sie dennoch in die USA, wo ihr 1898 als Direktorin des Bakteriologischen Instituts der Universität Philadelphia der Professorentitel verliehen werden soll.

Der Kontakt ans Berliner Institut reißt nicht ab. Rabinowitsch zieht es nach Berlin zurück – sie verzichtet dafür sogar auf den Professorentitel in den USA. Auch aus privaten Gründen. Zurück in Berlin heiratet sie den Arzt Walter Kempner, den sie am Institut von Robert Koch kennengelernt hat.

1899 wird Sohn Robert Kempner geboren, der knapp fünf Jahrzehnte später als stellvertretender US-Chefankläger bei den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg auftritt. 1901 kommt Tochter Nadja und 1903 Sohn Walter zur Welt.

Für die damalige Zeit, sagt Biografin Graffmann-Weschke, sei es sehr ungewöhnlich gewesen, dass Rabinowitsch-Kempner als Ehefrau und Mutter weiter einem Beruf nachgegangen sei. Die Erforschung der Tuberkulose sollte aber unverändert ihr Leben prägen. Für ihre Verdienste wird Rabinowitsch-Kempner 1912 der Professorentitel verliehen – als zweiter Frau in Preußen und erster Frau in Berlin. Jedoch sind damit weder Lehrstuhl noch reguläre Bezahlung verbunden. Erst der Gleichstellungsgrundsatz der Weimarer Verfassung ermöglicht Frauen die Habilitation.

Nazis jagten sie aus dem Dienst

1914 übernimmt Rabinowitsch-Kempner die Leitung der renommierten „Zeitschrift für Tuberkulose“. Doch die Krankheit ist Segen und Fluch zugleich für sie: Ehemann Walter und auch Tochter Nadja versterben daran.

Rabinowitsch kämpft weiter und tritt 1920 die Leitung des Bakteriologischen Labors am Krankenhaus Moabit an, später dessen Direktorat.

Die „Machtergreifung“ der Nazis im Januar 1933 macht die Karriere mit einem Schlag zunichte. Weil sie jüdischer Herkunft ist, jagt man sie aus dem Dienst. Im August 1935 – gezeichnet von den politischen Ereignissen in Deutschland, aber auch getroffen von der Emigration der Söhne – stirbt Lydia Rabinowitsch-Kempner an einem Krebsleiden.

Katharina Graffmann-Weschke ist Autorin der Biografie „So wollen denn auch wir in diesem Sinne handeln“ Die Bakteriologin Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871-1935). Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig-Berlin 2021.

Lesen sie auch
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Vor dem Ärztetag in Mainz

Landesärztekammer-Präsident Matheis: „Es wird am Sachverstand vorbei regiert!“

Lesetipps
Mensch tippt auf Tastatur.

© Mikhail Tolstoy / stock.adobe.com

Liste veröffentlicht

Endlich: Zi zeigt, mit welchen PVS Praxen zufrieden sind

Der Hefepilz Candida auris in einer Petrischale

© Nicolas Armer / dpa / picture alliance

Krankmachender Pilz

Candida auris wird immer öfter nachgewiesen