Frühgeburten

Start ins Leben gelingt immer besser

Heute überleben viel mehr Frühgeborene als noch vor 40 Jahren. Der Personalmangel in Spezialkliniken ist allerdings ein Problem. Müssen Perinatalzentren zusammengelegt werden?

Von Christina Sticht Veröffentlicht:

HANNOVER/MENDEN/HAMM. Marie verfolgt alles um sie herum mit großen Augen. Und wenn ihre Mutter da ist, ist die Welt für sie in Ordnung. Die Einjährige und ihre Mutter Janine Schöneis haben eine ganz besonders enge Beziehung.

Als das Mädchen auf die Welt kam – drei Monate vor dem eigentlichen Geburtstermin – wog sie nur 830 Gramm. Für die Familie aus Menden im Sauerland begannen damit bange Wochen.

Inzwischen wiegt sie stolze sieben Kilo, robbt durch das Wohnzimmer und zieht sich an Stühlen hoch. Auf Schicksale wie das von Marie will der Welt-Frühgeborenentag am Samstag aufmerksam machen.

Frühchen sind die größte Patientengruppe im Kindesalter: Rund 60.000 Babys kommen jedes Jahr in Deutschland vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. Die gute Nachricht: Die Überlebensrate der Frühgeborenen ist kontinuierlich besser geworden.

2000 Frühchen nachuntersucht

„Es ist total erfreulich“, sagt Wolfgang Göpel, Leiter des Deutschen Frühgeborenen Netzwerks. Das vom Bund geförderte Projekt hat bisher fast 20.000 Frühchen erfasst und bereits über 2000 von ihnen im Alter von fünf Jahren untersucht. „Die meisten überleben gesund“, betont der Neonatologe vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.

So ist es auch bei Marie. Mit 2245 Gramm wird sie nach fast zwei Monaten aus der Klinik entlassen. Regelmäßige Untersuchungen beim Kinderarzt zeigen schnell, dass Marie keine Folgeschäden davon getragen hat. Marie sei zwar ein zartes Kind, sagt ihre Mutter, aber die Entwicklung sei altersgerecht.

In der Frühgeborenenmedizin gibt es dennoch Verbesserungsmöglichkeiten. Forschungsbedarf sieht Göpel vor allem noch bei der Arzneimittelsicherheit.

„Wir benötigen mehr Daten, was Nebenwirkungen von Medikamenten angeht“, sagt er. So haben häufig eingesetzte Medikamente möglicherweise langfristig negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung. Der Intelligenzquotient lässt sich erst ab einem Alter von fünf Jahren messen.

„Kinderheilkunde unterfinanziert“

Für die medizinische und pflegerische Versorgung von Frühchen gibt es strenge Vorgaben, die 2013 noch einmal verschärft wurden. Bundesweit haben die Perinatalzentren derzeit Schwierigkeiten, ausreichend Fachpersonal zu finden.

Zuletzt hatte die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) berichtet, dass sie in diesem Jahr 298 schwerkranke Kinder aus anderen Häusern nicht aufnehmen konnte, weil es nicht genug Intensivpflegekräfte gibt.

„Diese Dinge müssten politisch gelöst werden“, sagt die Präsidentin der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, Ursula Felderhoff-Müser. „

Die gesamte Kinderheilkunde ist unterfinanziert.“ In einigen Regionen könnten Perinatalzentren zusammengelegt werden, schlägt die Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde an der Universität Essen vor. Dabei sei zu beachten, dass auch die Häuser ohne Perinatalzentren höchster Versorgungsstufe weiterhin genug Geld bekommen.

Bei der überwiegenden Mehrheit der Fälle ist die Frühgeburt schon während der Schwangerschaft absehbar und damit planbar. Die Eltern können sich unter anderem mit Hilfe der Seite www.perinatalzentren.org eine passende Klinik aussuchen.

Unterstützung benötigen die Eltern, wenn sie oft erst Monate nach der Geburt ihr Kind aus der Klinik mit nach Hause nehmen dürfen. Zuvor gab es eine 24-Stunden-Überwachung von spezialisierten Pflegekräften, nun sind sie auf einmal allein verantwortlich. „Es geht darum, dass die Eltern Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen“, sagt Tanja Brunnert aus Göttingen, Sprecherin des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte für Niedersachsen.

Der Verband für das frühgeborene Kind setzt sich zudem dafür ein, dass Frühchen-Eltern über den 14. Lebensmonat hinaus Elterngeld beziehen können. „Häufig sind die Kinder mit einem Jahr noch nicht so weit, dass sie in eine Kita oder zu einer Tagesmutter können“, sagt Verbandssprecherin Katarina Eglin. (dpa)

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