Ärzte sind enttäuscht vom neuen Arzneigesetz

Für die Vertragsärzte ist das AMNOG eine große Enttäuschung: Die Reglementierungen werden nicht spürbar zurückgenommen. Eine schlankere Wirtschaftlichkeitsprüfung bleibt ein Hoffnungswert. Aber: Innovationen könnten schon auf mittlere Sicht kostengünstiger für die Versorgung werden.

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BERLIN (HL). Für den Kinderarzt und Arzneimittelspezialisten Dr. Jürgen Bausch ist eines gewiss: "Die Krankenkassen werden uns Ärzte auch künftig nicht aus der wirtschaftlichen Verantwortung für die Arzneimittelverordnungen entlassen. Das gilt auch dann, wenn als Folge der frühen Nutzenbewertung und der dann binnen zwölf Monaten folgenden Festsetzung eines Erstattungsbetrages die Versorgung kostengünstiger werden sollte.

Bei einer vom Verband Forschender Pharma-Unternehmen (vfa) und der "Ärzte Zeitung" organisierten Telefonaktion wurde klar: Der Gesetzgeber verzichtet nur auf Reglements, die in der Praxis keine Bedeutung hatten: die von Ärzten als Ärgernis empfundene Bonus-Malus-Regelung und das Zweitmeinungsverfahren, für das der Bundesausschuss nur sehr wenige und seltene Indikationen bestimmt hatte.

Richtgrößen und Richtgrößenprüfungen bleiben bestehen. Eine gewisse Milderung tritt insofern ein, als bei erstmaligem Überschreiten von Richtgrößen die Regresssumme in den beiden ersten Jahren auf 25 000 Euro für den einzelnen Arzt beschränkt wird.

Es liegt primär an der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen, regressfreie Zonen zu definieren - indem sie bevorzugte Arzneimittel bestimmen, die von einer Richtgrößenprüfung ausgenommen werden können.

Keine Auswirkungen hat das AMNOG auf die Standardtherapie mit seit langem eingeführten Arzneimitteln. Prinzipiell kann der Bundesausschuss zwar auch für vor dem 1. Januar 2011 zugelassene Arzneimittel eine Kosten-Nutzen-Bewertung einleiten - er wird dies aber allenfalls bei relativ teuren Therapien in Erwägung ziehen.

Tatsächlich zielt das AMNOG auf neue Wirkstoffe, die nach dem 1. Januar 2011 zugelassen werden. Sie sind, wie Innovationen bisher schon, sofort bei Markteintritt verordnungsfähig. Die frühe Nutzenbewertung ist keine Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit.

Welche Folgen hat nun die Festlegung eines Erstattungsbetrages für die Arzneitherapie der Ärzte? Dr. Jürgen Bausch: "Sie wird wahrscheinlich kostengünstiger werden - und im Prinzip sollte uns Ärzte das freuen."

Allerdings könnte das neue Instrumentarium längerfristig auch kontraproduktive Wirkung haben, befürchtet vfa-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer: Deutschland war bislang ein innovationsoffenes Land. In Zukunft werden die Firmen aber wohl überlegen, in welchem Land sie mit der Neueinführung eines Arzneimittels starten - und das könnte die Verfügbarkeit von Innovationen künftig verzögern.

Anrufende Kinderärzte zeigten sich besorgt hinsichtlich der künftigen Entwicklung von Impfstoffen, für die die Preise am Niveau anderer EU-Länder orientiert werden sollen. IGES-Chef Professor Bertram Häussler sieht das Risiko, dass damit die Bereitstellung neuer Impfstoffe zumindest nicht verbessert wird.

So mancher Arzt sorgt sich auch für den Fall, dass die frühe Nutzenbewertung zu Irrtümern führt. Gibt es eine Revisionsmöglichkeit? Das ist in der Tat möglich. Jeder der Beteiligten kann nach einem Jahr eine neue Kosten-Nutzenbewertung im Bundesausschuss beantragen, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.

Wie wirkt die Ausnahme-Regelung für Orphan Drugs, für die es in der Regel keine frühe Nutzenbewertung gibt? Werden sich nun Unternehmen vorrangig darauf konzentrieren? Das ist nicht wahrscheinlich, glauben alle Experten. Orphan Drugs zu entwickeln, ist angesichts der hohen Entwicklungskosten so aufwändig, dass dies nur im internationalen Maßstab sinnvoll ist. Spezielle Bedingungen im deutschen Markt werden da wohl keine Auswirkungen haben.

Lesen Sie dazu auch: Auch ab 2011 gilt: Jede Innovation ist vom Start an Kassenleistung! AMNOG: "Die Drohung mit dem Regress besteht weiter" Für Kassenpatienten möglichst das Billigste - Arzneiverordnungen in der Praxis

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