Boostern ohne STIKO-Empfehlung

BÄK-Chef kritisiert Vorpreschen der Politik bei Corona-Drittimpfungen

Alle Bundesländer haben mittlerweile Angebote zu Corona-Drittimpfungen für Risikogruppen aufgelegt oder angekündigt. Ärzte halten das Vorgehen für hochproblematisch – auch, weil eine Empfehlung der Impfexperten bislang fehlt.

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Für Hochbetagte und vulnerable Gruppen halten die Länder Angebote zur Corona-Drittimpfung vor. Ärzte finden, dass die STIKO dazu eine Empfehlung aussprechen sollte.

Für Hochbetagte und vulnerable Gruppen halten die Länder Angebote zur Corona-Drittimpfung vor. Ärzte finden, dass die STIKO dazu eine Empfehlung aussprechen sollte.

© Jacob King/dpa

Berlin/München. Vor wenigen Wochen riss die Frage der Corona-Impfungen für ab 12-Jährige tiefe Gräben zwischen Ärzteschaft und Politik – jetzt droht sich das Ganze mit Blick auf die sogenannten Booster-Impfungen zu wiederholen.

Bislang liegen für die Auffrischungsimpfung weder eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) noch eine explizite Zulassung in der Europäischen Union vor. Dennoch haben inzwischen alle 16 Bundesländer Angebote zur dritten Spritze gegen COVID-19 aufgelegt oder zumindest angekündigt.

Die Angebote der Länder adressieren zunächst Hochbetagte und vulnerable Personengruppen, teils auch Pflegebeschäftigte in Altenheimen. Sachsen etwa will ab diesem Freitag mit Drittimpfungen für bestimmte Risikogruppen starten.

Der Pflegeanbieterverband bpa mahnte mehr Tempo bei den Booster-Impfungen an. Diese müssten flächendeckend auch Beschäftigten in der Pflege angeboten werden, sagte bpa-Chef Bernd Meurer am Donnerstag in Berlin. „Eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie erleben wir bei dieser wichtigen Maßnahme aktuell wieder ein unerträgliches Hin und Her zwischen den Ländern.“

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BÄK-Chef: Aussagekräftige Studien fehlen bislang!

Kritik am Vorgehen der Länder übte auch der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt. Es spreche „theoretisch“ zwar einiges dafür, dass eine Auffrischungsimpfung für Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, mit einem geschwächten Immunsystem sowie für Hochbetagte sinnvoll sein könne, sagte Reinhardt dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ am Donnerstag. Nach bisherigem Kenntnisstand sei sie aber für die meisten Geimpften nicht sofort nötig, fügte Reinhardt hinzu.

Insgesamt fehlten bislang aussagekräftige Studien, ob, wann und für wen eine Booster-Impfung angezeigt sei, so Reinhardt. „Ich halte es deshalb für einen Fehler, dass Bund und Länder in der Breite Auffrischungsimpfungen angekündigt haben, ohne eine entsprechende Empfehlung der STIKO abzuwarten.“

FDP: STIKO nicht unter Druck setzen!

Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, nannte es verfrüht, wenn ohne wissenschaftliche Empfehlung mit Auffrischungsimpfungen begonnen werde. Bund und Länder sollten die STIKO-Entscheidung abwarten, „anstatt durch vorgezogene politische Entscheidungen die Wissenschaft wie schon bei den Impfungen von Kindern und Jugendlichen unter Druck zu setzen“.

Ähnlich hatte sich zuvor der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, geäußert. Auch der Hausärzteverband äußerte Kritik am Vorpreschen der Länder in Sachen Booster. STIKO-Chef Professor Thomas Mertens hat eine baldige Empfehlung zu Auffrischungsimpfungen in Aussicht gestellt.

KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister warnte vor einer „sehr unübersichtlichen“ Lage in den Praxen im Herbst, wenn allen Bürgern eine Corona-Auffrischungsimpfung versprochen werde. „Das wird ungeheureres Diskussionspotenzial in den Praxen hervorrufen“, sagte Hofmeister im Interview mit dem Webkanal „KV-on“. Hochbetagten und vulnerablen Personen eine dritte Spritze zu verabreichen, sei von den Ärzten leistbar – trotz der im Herbst anstehenden Grippeschutz-Impfungen.

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Holetschek: Angebot auf alle über 60-Jährigen ausweiten

Der Druck auf die STIKO nimmt derweil zu. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) erklärte am Donnerstag, die Drittimpfungen würden im Freistaat sehr gut angenommen. Seit Beginn der Kampagne Mitte August habe es bereits rund 2900 Auffrischungsimpfungen in Bayern gegeben. Davon seien knapp 1960 Dosen in Impfzentren und 930 von niedergelassenen Ärzten verimpft worden.

Holetschek betonte, bisher richte sich das Angebot an Menschen mit hohem Corona-Risiko – vor allem an Bewohner von Pflege- und Altenheimen. Er fügte aber hinzu: „Ich glaube, wir müssen uns zeitnah auch darüber Gedanken machen und entscheiden, ob wir im Rahmen der gesundheitlichen Vorsorge nicht auch allen über 60-Jährigen, die das wollen, eine Auffrischungsimpfung anbieten.“

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Dabei müsse die zweite Impfung mindestens sechs Monate zurückliegen, sagte Holetschek. Vorgesehen für die Auffrischungsimpfung sei ein mRNA-Impfstoff – unabhängig davon, mit welchem Impfstoff die erste Impfserie abgeschlossen worden sei.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kürzlich erklärt, es sei darüber nachzudenken, Booster-Impfungen in einem „zweiten Schritt“ allen Bürgern anzubieten. (hom)

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