Christine Neumann-Grutzeck im Interview
BDI-Präsidentin: „Es scheitert am fehlenden Grippe-Impfstoff“
Impfen gehört in ärztliche Hand, sagt BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck. Von Impfmodellen in Apotheken hält sie nichts. Die aktuelle Grippe-Impfsaison zeige, dass die Praxen das alleine schaffen. Eine Umfrage des BDI, an der sich über 580 Ärzte beteiligt haben, belegt: Der Mangel liegt an anderer Stelle.
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Es kann nicht sein, dass Ärzte bei einem so wichtigen Thema wie dem Impfen Angst vor Regressen haben müssen, kritisiert Christine Neumann-Grutzeck, Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Internisten (BDI).
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Ärzte Zeitung: Frau Neumann-Grutzeck, 96 Prozent der befragten Internisten impfen ihre Patienten gegen Grippe. Ein Zeichen, dass die Risikogruppen damit gut versorgt sind? Oder braucht es dennoch flankierend niedrigschwellige Impfangebote – etwa in Betrieben?
Christine Neumann-Grutzeck: Zuerst einmal finde ich es ganz toll, dass nicht nur die Hausärzte, sondern auch die Fachärzte impfen. Und dass sie es in so großer Zahl tun. Ob man wirklich jeden Risikopatienten damit erwischt, das halte ich dennoch für schwierig. Das Wichtige ist aber – und das sehen wir gerade in diesem Jahr –, dass wir, wenn wir nicht genügend Impfstoff für alle haben, auch tatsächlich die Personen impfen, bei denen es nach den STIKO-Empfehlungen indiziert ist.
Meine Sorge in den Betrieben wäre schon die, dass nicht vorrangig die Mitarbeiter geimpft werden, die als Risikogruppe zählen, sondern vermehrt auch die jungen und gesunden, die zumindest im Moment eher nicht im Fokus stehen sollten.
Andererseits finde ich es richtig, wenn in Kliniken, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen geimpft wird. Denn alle Mitglieder eines Gesundheitsberufes sollten gegen die Grippe geimpft sein!
… da müssten also auch die Betriebe noch einmal genau hinschauen und in diesem Jahr besondere Verantwortung zeigen?
Genau. Ich zeichne mal ein absolutes Negativbeispiel: Es kann nicht sein, dass etwa ein junges Softwareunternehmen seinen ganzen Betrieb durchimpft, also die ganzen jungen, gesunden Menschen impft, und die Hausarztpraxis nebenan hat keinen Impfstoff für die Chroniker. So ähnliche Geschichten habe ich schon gehört.
Von Ärzteseite eher kritisch betrachtet werden ja die Impf-Modellprojekte in Apotheken. Wie sehen Sie das?
Ich bin gegen solche Modelle. Impfen ist ärztliche Aufgabe und so sollte es auch bleiben. Auch in den Betrieben sind es ja die Betriebsmediziner, die impfen. Ich erkenne auch die Notwendigkeit nicht: Wir sehen ja an der BDI-Umfrage, dass es nicht am Impfwillen der Kollegen scheitert, es scheitert am fehlenden Impfstoff. Aufgabe des Apothekers ist es, dafür zu sorgen, dass wir den Impfstoff haben. Und nicht, diesen zu verimpfen.
Wären die Apotheken bei einer künftigen Corona-Impfung bzw. den diskutierten Massenimpfungen dennoch eine Unterstützung?
Wir werden ja am Anfang gar keine Massenimpfung haben. Wir werden nicht mit Impfstoff überflutet werden, sondern wir werden eher zu wenig Impfstoff zur Verfügung haben und schauen müssen, wen wir impfen. Das wird genau austariert werden müssen. Eine entsprechende Impfstrategie ist noch in Arbeit. Insofern macht es auch bei der SARS-CoV-2-Vakzine keinen Sinn, in der Apotheke zu impfen. Die Praxen haben ja gerade jetzt bei den Massen von Grippeimpfungen – die Kollegen haben wahrscheinlich schon um die 20 Millionen Dosen verimpft – bewiesen, dass wir das schaffen.
Die Praxen wurden ja aufgerufen, sich dieses Jahr noch stärker bei der Grippe-Impfung zu engagieren. Wie ist es da zu werten, dass 47 Prozent ihre bestellte Impfstoffmenge nicht komplett erhalten haben?
Das ist ja unser Problem: Die Impfbereitschaft ist groß, die Patienten fragen nach, aber es fehlt an Vakzinen. Wir hatten in unserer Praxis mehr bestellt als im Vorjahr und sogar noch einmal Nachschub geordert, auch der ist bereits aufgebraucht. Wir betreuen fast ausschließlich chronisch Kranke. Jetzt sitze ich den Patienten gegenüber und muss ihnen erklären, dass ich sie nicht impfen kann. Das finde ich hochproblematisch.
Erschreckend ist, dass selbst in Corona-Zeiten ein Drittel der befragten Ärzte einen Regress fürchten, falls sie den bestellten Impfstoff nicht verbrauchen. Auch wenn das – sie haben es ja gerade beschrieben – nicht der Fall sein wird. Trotzdem: Fehlt hier eine eindeutige Positionierung von KV und Kassen?
Dies fehlt auf jeden Fall. Wir wollen als Ärzte das Beste für unsere Patienten, wir kümmern uns um die Impfung und natürlich können wir nicht immer vorhersagen, wie viele Patienten nun ganz genau diese in Anspruch nehmen. Aber es kann nicht sein, dass wir dafür bestraft werden, wenn wir vielleicht zu viel Impfstoff bestellen, oder dass wir aus Angst vor Regressen direkt weniger bestellen.
Man hat in der Umfrage aber auch gesehen, dass es nicht alle KV-Regionen betrifft. Wir haben als BDI die betroffenen KVen angeschrieben, die Antwort steht noch aus.
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