Bahr redet Ärzten ins Gewissen

Wenig versprochen, viel gefordert - der Gesundheitsminister beim Ärztetag. Die Ärzteschaft soll sich mit der PKV einigen, eine Kultur gegen Fehler entwickeln und IGeL verantwortlicher einsetzen. Dafür könnte die Praxisgebühr auch bestehen bleiben.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

NÜRNBERG. Mit Blick auf die noch in dieser Legislaturperiode anstehenden Reformvorhaben hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bei der Eröffnung des 115. Deutschen Ärztetages am Dienstag in Nürnberg klare Forderungen an die Ärzteschaft gerichtet und an deren Verantwortung appelliert.

Die Novellierung der GOÄ ist aus der Sicht von Bahr "ganz, ganz wichtig". Das Bundesgesundheitsministerium werde keine Entscheidungen treffen, solange es keinen Kompromiss zwischen der Bundesärztekammer und der privaten Krankenversicherung gibt.

Bahr: "Eine Einigung wäre ein starkes Signal. Ich brauche dann eine Mehrheit im Kabinett und im Bundesrat." Eine Gleichsetzung von Einheitlichem Bewertungsmaßstab und GOÄ lehnte Bahr ab; das werde dem Anspruch einer Privatversicherung nicht gerecht.

Im Zusammenhang mit den laufenden parlamentarischen Beratungen des Patientenrechtegesetzes begründete Bahr nochmals, warum die Koalition die Umkehr der Beweislast nur auf grobe Fahrlässigkeit beschränken will.

Eine generelle Beweislastumkehr erhöhe den Dokumentationsaufwand für Ärzte, werde die Berufshaftpflicht verteuern und führe insgesamt zu einer "Risikovermeidungskultur".

IGeL nicht staatlich reglementieren

Dies sei nur vermeintlich vorteilhaft für Patienten. Stattdessen erwartet Bahr, dass die Ärzteschaft aktiv eine Fehlervermeidungskultur entwickelt und betreibt.

Den von der Opposition geforderten Entschädigungsfonds für zu Schaden gekommene Patienten lehnt Bahr ab.

Es sei leistungsfeindlich und unsolidarisch, wenn eine Solidargemeinschaft von Versicherten für Fehler in Haftung genommen werden soll, deren Kausalität nicht nachgewiesen ist. Bahr plädierte dafür, dass die Einheit von Handeln und Haften bestehen bleibt.

Im Unterschied zu Krankenkassen und gesundheitspolitischen Positionen der Opposition sieht Bahr neben den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf das medizinisch Notwendige, Zweckmäßige und Wirtschaftliche beschränkt sind, im Einzelfall einen Spielraum für Individuelle Gesundheitsleistungen, die nicht durch die GKV-Kriterien beschränkt sind.

Dieser Leistungsbereich soll nicht staatlich reglementiert werden. Es sei aber notwendig, dass Ärzte verantwortlich mit Individuellen Gesundheitsleistungen umgehen und ihren Patienten diese nicht unter Druck anbieten.

Präferenz für Finanzpolster der Krankenkassen

Es gebe offenbar Nachholbedarf im verantwortungsbewussten Umgang mit IGeL. Dies zu gewährleisten, sei eine Aufgabe der Ärztekammern.

Wenig Hoffnung machte Bahr den Ärzten, dass es zu einer Abschaffung der Praxisgebühr kommen könnte, wollte dies aber auch nicht kategorisch ausschließen. Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz sei die finanzielle Ausstattung der gesetzlichen Krankenkassen gestärkt worden, die Zusatzbeiträge der Versicherten brächten Transparenz über Kostenunterschiede.

Die gute konjunkturelle Entwicklung habe eine neue Situation für den Bundesgesundheitsminister geschaffen - "dass nämlich der Finanzminister bei mir Geld anklopft. Das will ich möglichst lange genießen", erklärte Bahr den Ärztetags-Delegierten seine Präferenzen.

Dem Vorsichtsprinzip folgend, will Bahr die vorhandenen Überschüsse primär vorsorgend zur Stabilisierung der Finanzlage der Kassen verwenden, auch unter dem Gesichtspunkt, dass die gesamtwirtschaftliche Lage schlechter werden kann.

Und: "Überschüsse gehören primär den Versicherten." Natürlich werde es auch eine Überprüfung von Leistungsverbesserungen und der Eigenbeteiligungen geben - wie etwa der Praxisgebühr.

GKV und PKV - beide haben Nachteile

Ausdrücklich bekräftige Bahr sein Bekenntnis zu Solidarität und Eigenverantwortung gerade auch in einer liberalen Gesundheitspolitik. Beides bedinge sich gegenseitig.

Eine verlässliche Bereitschaft der Solidargemeinschaft, bei Schicksalsschlägen zu helfen, könne es nur dann geben, wenn auch der Einzelne eigenverantwortlich handelt.

Mit seinen qualitativen Charakteristika - freie Wahl des Arztes und des Krankenhauses, wohnortnahe Versorgung und Teilhabe an Innovationen - sei das Leistungsniveau der GKV im internationalen Vergleich fast einmalig.

Die demografische Herausforderung, immer mehr Menschen und darunter auch einer wachsenden Zahl von Demenzkranken ein menschenwürdiges Altern zu ermögliche, erfordere eine nüchterne und ideologiefreie Analyse der Finanzierungsmöglichkeiten.

Bahr begrüßte ausdrücklich, dass sich der Ärztetag mit den Finanzierungsgrundlagen der Medizin beschäftigt.

Beide Versicherungssysteme - GKV und PKV - haben seiner Auffassung nach Vor- und Nachteile. Als umlagefinanziertes System sei die GKV in einer alternden Gesellschaft kritisch zu sehen.

Mit Blick auf Behauptungen, die PKV sei kaum überlebensfähig, sagte Bahr, auch die GKV hätte nicht überlebt, wenn es nicht alle zwei Jahre Gesundheitsreformen gegeben hätte.

Scharfe Kritik an Billigtarifen und Provisionsexzessen

Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft sei die Rücklagenbildung in einem kapitalgedeckten Versicherungssystem von Vorteil. Für die Alterssicherung habe die rot-grüne Bundesregierung erkannt, dass eine umlagefinanzierte Rente allein nicht ausreichend sein wird, ein hinlängliches Einkommen im Alter zu verschaffen.

Mit der Riester-Rente habe sie eine kapitalgedeckte Ergänzung geschaffen. Eigenverantwortlich gebildete Rücklagen müssten in Zukunft stärker gebildet werden.

Die Bürgerversicherung unter dem Motto "Eine für Alle" höre sich zwar sympathisch an, führe aber dazu, dass der Versicherte keine Wahlmöglichkeit mehr habe: "Patienten und Versicherte werden so zu Bittstellern."

Aber auch die PKV sei reformbedürftig. Scharf kritisierte Bahr die Billigtarife mit Lockprämien für junge Männer. "Ein solches Fehlverhalten innerhalb der privaten Krankenversicherung ist eine Rosinenpickerei zu Lasten der Solidargemeinschaft."

Gleiches gelte für die Provisionsexzesse. "Es ist ein Armutszeugnis der PKV, dass sie dieses Problem nicht selbst gelöst hat."

Lesen Sie dazu auch: Montgomery:"Die GKV würde ihre Macht ungeniert ausspielen" Standpunkt zum Ärztetag: Bahr an der Seite der Ärzte

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 22.05.201218:45 Uhr

10 € Praxisgebühr in bar oder in Bahr?

Dass die Novellierung der GOÄ für Daniel Bahr "ganz, ganz wichtig" sei, nehme ich noch für ba(h)re Münze. Aber schon in der "Einführung zur Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)" steht, sie "ist eine von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassene Rechtsverordnung." Richtlinienkompetenz hat damit eindeutig der Bundesgesundheitsminister (BGM). Daniel Bahr als BGM m u s s deshalb entscheiden und n i c h t ein antizipierter, taktischer Kompromiss zwischen der Bundesärztekammer und der privaten Krankenversicherung.

Bei der Abschaffung der Praxisgebühr (PG) läuft es ähnlich: Vollmundig wurde im NRW-Wahlkampf vom FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner getextet und plakatiert bzw. von Bahr, Rösler, Brüderle getönt, die Abschaffung der PG sei so sicher wie die Stimmen der FDP-Wähler/-innen über der 5-Prozent-Hürde. Doch jetzt kommt Daniel Bahr beim Ärztetag rat- und tatenlos um die Ecke, man wolle nicht kategorisch ausschließen, dass bei der PG sich CDU/CSU und die Bundeskanzlerin am Ende doch durchsetzen und diese beibehalten würden.

Auf die ministerielle Pseudokritik an der PKV ausgerechnet durch einen FDP-Minister, der sonst mit Parteifreunden für die Freie Marktwirtschaft nach Manchester-Liberalismus eintritt, will ich hier nicht eingehen. Da lasse ich den Minister lieber mit IGeL spielen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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