Barmer GEK beklagt zu viel Medizin für Kinder

Kinder werden zu häufig und schnell therapiert statt gefördert. So die Kritik der Barmer GEK. Dagegen erhielten Schwerstkranke noch zu wenig Physiotherapie.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:

BERLIN. Nach Ansicht der Barmer GEK schreitet die "Medizinisierung der Kindheit" voran. Das sieht die Kasse vor allem durch den Heil- und Hilfsmittelreport 2010 bestätigt, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach wurden bei Kindern bis zu 13 Jahren vor allem Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens diagnostiziert.

Der Report zeigt: 46 Prozent der Kinder, die Physiotherapie bekommen, leiden unter Rückenschmerzen. Um diese zu lindern, erhielten die Betroffenen vorrangig Schmerzmittel oder Physiotherapie. Bereits Kleinkinder bis drei Jahre würden zunehmend wegen Rückenschmerzen behandelt. Auch aufgrund von Arthropathien (21 Prozent) sowie Krankheiten des Bindegewebes erhielten die Kinder häufig eine Physiotherapie.

Die Kasse moniert die hohe Verordnungsrate bei Kindern: 14 Prozent der Heilmittel sowie elf Prozent der Hilfsmittel wurden Kindern unter zehn Jahren verschrieben.

Nun begibt sich die Barmer GEK auf die Suche nach den Ursachen. "Wir wissen, dass hohe Diagnosehäufigkeiten und Verordnungsraten nicht immer nur körperliche Ursachen haben", sagte Barmer GEK Vorstandsvize Rolf-Ulrich Schlenker. Seiner Ansicht nach steht vor allem die soziale Umgebung der Kinder im Vordergrund: Mangelnde Bewegung in Schule und Kindergarten führe zu Rückenschmerzen. Prävention zum Thema Bewegung und Ernährung müsste bereits hier ansetzen. Kinder müssten stärker gefördert statt therapiert werden.

Ferner sei der Markt intransparent und zu wenig reguliert, beklagt Schlenker. Viele Patienten würden oft unkontrolliert mit Heilmitteln sowie Arzneimitteln doppelt behandelt. Der Nutzen für Patienten müsse zudem breit untersucht werden.

Dem stimmte auch Studienleiter Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen zu. "Heil- und Hilfsmittel werden trotz steigender Bedeutung weiter von der Versorgungsforschung vernachlässigt", so Glaeske. Wirksamkeit und Nutzen insbesondere der Hilfsmittelprodukte bliebe oft "ungeprüft".

Es werde also viel ausgegeben, unklar sei jedoch mit welchem Erfolg. Seiner Ansicht nach müssen die Fachverbände solche Studien vorsehen. "Am Anfang des Lebens wird die Physiotherapie häufig zu schnell eingesetzt, am Ende eines Lebens wird sie dagegen zu sparsam verwendet", beklagte Glaeske. Mit rund 18 Prozent Versorgungsanteil sei die Palliativmedizin immer noch unterentwickelt.

Die Ausgaben für Hilfsmittel steigen beim Branchenführer Barmer GEK im Vergleich zum Vorjahr um 8,4 Prozent auf 671 Millionen Euro, für Heilmittel um 4,3 Prozent auf 618 Millionen Euro. Bei den Heilmitteln dominierte mit Ausgaben von 442,6 Millionen Euro die Physiotherapie.

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