Europäischer Gesundheitskongress München
Rat eines dänischen Gesundheitsexperten: „Ihr könnt keine Strukturen verändern, ohne Altes abzuschaffen“
In Dänemark wird medizinische Versorgung regionalisiert. Im Departement St. Gallen in der Schweiz werden Spitäler geschlossen und Gesundheitszentren eingerichtet. Was könnte Deutschland davon lernen?
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„Grundlegende Veränderungen“: Dänemark hat eine Strukturreform seiner Gesundheitsversorgung in Gang gesetzt.
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München. Stakeholder fragen schon lange: Was bräuchte es, damit der ambulante und stationäre Gesundheitssektor zu einer integrativen Versorgung zusammenwachsen? Beim 24. Europäischen Gesundheitskongress blickte man auf der Suche nach Antworten (auch) über Landesgrenzen hinaus.
Aus dem Gesundheitsdepartement St. Gallen in der Schweiz stellte dessen Regierungsratsvorsteher Bruno Damann die dortigen Veränderungen seit 2021 vor. Zwölf Spitalstandorte wurden und werden auf sechs reduziert. Eingerichtet wurden stattdessen fünf Gesundheitszentren sowie ein Gesundheits- und Notfallzentrum, die von niedergelassenen Leistungserbringern betrieben werden.
Sechs statt zwölf Kliniken
Die Umsetzung sei nicht ganz einfach, auch weil die Bevölkerung via Volksabstimmungen zustimmen müsse, so Damann. Immerhin: 56 Prozent haben sich für die Krankenhausschließungen ausgesprochen. Letztes Jahr schrieb man nun nach vielen defizitären Jahren erstmals eine schwarze Null, heute rechnet man im Departement St. Gallen mit einem leichten Gewinn.
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Damann benannte vier Haupttreiber für Transformation, vorneweg die medizinische Spezialisierung. Eine nachhaltige Aufrechterhaltung des Angebots und der Qualität an peripheren, kleinen Spitalstandorten habe sich als kritisch erwiesen, auch wegen des Fachkräftemangels.
Weitere Treiber seien die Ambulantisierung der Medizin sowie ein hoher Investitionsbedarf an verschiedenen Spitalstandorten. Und finanzielle Mittelfristplanungen hätten strukturelle Defizite gezeigt, vor allem bei Unternehmen mit öffentlicher Trägerschaft.
Interprofessionelle Teams am Zug
Melanie Feldmann, Referentin der Geschäftsführung der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, sowie Dr. Arne Berndt, WMC Healthcare GmbH, brachten gemeinsam sechs Thesen zu Änderungen in der Gesamtversorgung mit: Ambulantisierung werde zum zentralen Leitprinzip.
Prävention werde Schwerpunkt und sektorenübergreifend koordiniert. Telemedizin werde ein Standard in der Regelversorgung. Sektorengrenzen würden weiter verschwimmen. Interprofessionelle Teams und neue Berufsbilder ersetzten traditionelle Rollen. KI spiele eine zunehmend wichtige Rolle.
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Was sich konkret aus Feldmanns und Berndts Sicht ändern muss: Das deutsche Gesundheitssystem brauche einen Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlich gedachten und vernetzten Versorgung. Wie dies auf regionaler Ebene gelingen kann, begleitete das Duo im Landkreis Tirschenreuth. Dort ermittelten Politik und Bürger gemeinsam, welche Bedarfe in der Gesundheitsversorgung bestehen und suchten Lösungen.
„Health care close to you“ in Dänemark
Und was lehrt das Beispiel Dänemark? Wie der externe Berater Claus Duedal Pedersen schilderte, setzte dort die frisch gewählte Regierung 2022 eine Expertenkommission ein, die im Frühsommer 2024 drei Vorschläge unter dem Stichwort „Health care close to you“ für eine künftige Struktur des Gesundheitssystems vorlegte.
Kern des Ganzen: Versorgung wird regionalisiert, und es werden einheitliche Budgets für die Regionen geschaffen. In Kraft treten sollen die Änderungen 2027. Aus fünf Regionen werden vier, in jeder davon gibt es einen gewählten Rat, der außer der Gesundheitsversorgung für verschiedene Umweltaufgaben und spezialisierte Dienstleistungen verantwortlich zeichnet.
Die Regionen tragen die Verantwortung für Krankenhäuser inklusive Psychiatrie und Rettungsdienste, für Allgemein- und Fachärzte sowie für Gesundheitsangebote, die gegenwärtig noch von den Kommunen angeboten werden. Das sind: die vor Ort bereit gestellten Pflegebetten, die Akutpflege, Präventions- sowie ein Teil der Rehabilitationsangebote.
Recht auf digitale Konsultation
Die „Health Care Councils“ sind geografisch nah an den Patienten dran, Entscheidungen können per Wahlentscheid getroffen werden, es fließen öffentliche Gelder. Patienten werden den Behandlungsort frei wählen können, haben mehr Rechte bezüglich einer schnellen Behandlung. Und: Sie haben das Recht auf eine digitale Konsultation statt einer physischen Behandlung.
Pedersen hielt fest: Die Strukturreform in Dänemark verändere Rollen und Beziehungen zwischen Krankenhäusern und Gemeinden, gestalte den Rahmen neu und biete die Gelegenheit für eine großflächige Implementierung eines „Hospital at Home“-Angebots. Sein Rat an deutsche Kolleginnen und Kollegen: „Ihr könnt keine Strukturen verändern, ohne Altes abzuschaffen.“ (mic)











