Interview mit Dietrich Monstadt

DMP Adipositas geplant: Welche Rolle spielen Hausärzte?

Die Koalition will mit einem DMP Adipositas die Versorgung Betroffener verbessern. Im Interview mit der „Ärzte Zeitung“ sagt CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt, was er sich konkret erhofft – und warum das Programm nur ein erster Schritt ist.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Dietrich Monstadt (CDU). Er ist seit 2009 Mitglied des Bundestags.

Dietrich Monstadt (CDU) ist seit 2009 Mitglied des Bundestags. In der Arbeitsgruppe Gesundheit der Unionsfraktion ist er Berichterstatter für die Themen Adipositas und Diabetes.

© Deutscher Bundestag

Ärzte Zeitung: Herr Monstadt, etwa jeder vierte Deutsche gilt als adipös. Schockiert Sie die Zahl?

Dietrich Monstadt: Ich setze mich seit Jahren mit dem Thema auseinander. Deshalb überrascht mich das nicht. Aber es sind absolut alarmierende Zahlen. Sehr besorgniserregend finde ich, dass 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig sind. Sechs Prozent gelten als adipös. Dicke Kinder von heute sind die kranken Erwachsenen von morgen. Die Erwachsenen, die Diabetes entwickeln oder an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Das kann uns nicht egal sein.

Betroffen von Adipositas sind überproportional Menschen aus sozial schwächeren und bildungsfernen Schichten. Woran liegt das?

Es gibt viele Ursachen. Kinder und Jugendliche leben oft das aus, was ihnen ihre Eltern vormachen. 30 Prozent der Familienhaushalte kochen nicht mehr. Junge Menschen können dann gar nicht erfahren, wie man gesunde Lebensmittel bewertet, einkauft und gesunde Speisen daraus zubereitet. Wenn Eltern ihre Kinder zu Fast-Food-Restaurants schicken oder sie Tiefkühlpizzen holen lassen, prägen die jungen Menschen kein Bewusstsein für gesunde Ernährung aus. Ungesunde Lebensweise, sprich zu viele Pfunde, sind dann programmiert.

Hat es auch mit Veranlagung zu tun?

Studien zeigen, dass das Problem bereits im Mutterleib beginnt. Wenn das Kind falsch konditioniert wird, ist Übergewicht angelegt. Dagegen lässt sich etwas tun mit Sport und Ernährung. Tut man das nicht, entwickelt man zwangsläufig Übergewicht oder wird adipös.

Gewichtsmessung beim Arzt: Bereits 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig.

Bereits 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig.

© New Africa / stock.adobe.com

Was folgt daraus?

Wir müssen den Kampf gegen Adipositas so strukturieren, dass wir im Kindes- und Jugendalter anfangen. Wir müssen zu vernünftiger Ernährung und ausreichender Bewegung schon in Kita und Schule kommen. Kinder haben diesen Bewegungsdrang. Schwieriger ist es bei Jugendlichen, die nicht so konditioniert sind und keine Lust haben auf gesunde Ernährung und mehr Bewegung. Die leben das auch im Erwachsenenalter nicht aus. Diesen Kreislauf müssen wir durchbrechen.

Wie?

Ich frage mich, warum unterrichten wir an Schulen Sexualkunde, nicht aber gesunde Ernährung? Wo der Einzelne nicht das Interesse hat, da muss die Gesellschaft, sprich Schule, einspringen und Kindern mehr Gesundheits- und Ernährungskompetenz vermitteln.

Die Koalition will den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) mit einem DMP Adipositas beauftragen. Was versprechen Sie sich davon?

Wir qualifizieren Adipositas erstmals als Krankheit. Die Krankenkasse kann dem Versicherten mit einem BMI von 45 und mehr nicht mehr sagen, gehe mal mehr auf die grüne Wiese und ernähre dich besser. Der Versicherte hat Anspruch auf mehr. Wir wissen, dass es bei Adipositas Unterversorgung gibt – trotz steigender Inzidenz in allen Kohorten. DMP helfen, Unterversorgung zu beseitigen. Haus- und Fachärzte legen ein größeres Augenmerk auf die Betroffenen. Kassen sind stärker motiviert, etwas zu tun, um weniger Behandlungskosten durch Folgeerkrankungen zu haben.

DMP sind für die Kassen freiwillig. Droht das Instrument beliebig zu werden?

Ich nehme ein großes Interesse der Kassen an DMP wahr. Die Erkenntnis greift, dass das etwas bringt. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass der Wettbewerb die Kassen dazu motiviert, DMP breit anzubieten. Zwang könnte zu Frustration und Trotz führen.

Kritisiert wird, dass es Aufgabe der Selbstverwaltung ist, DMP zu initiieren – nicht aber der Politik. Überschreitet der Gesetzgeber Grenzen?

Wir sprechen schon lange über ein DMP Adipositas. Ich bin seit 2009 Mitglied des Bundestags, seither wird das diskutiert. Die Selbstverwaltung hätte ein DMP initiieren können. Da das nicht geschehen ist, hat die Politik jetzt diesen moderaten Weg gewählt.

GBA-Chef Professor Josef Hecken hat erklärt, die Selbstverwaltung habe 2014 ein DMP einführen wollen. Das sei aber aufgrund der mangelnden Studienlage nicht möglich gewesen. Könnte es daran scheitern?

Ich bin überzeugt, dass es solche Studien gibt, und dass sich ein evidenzbasiertes DMP Adipositas realisieren lässt. Futter dafür, das hat ja auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft betont, gibt es auch im Bereich der leitliniengerechten Versorgung des Diabetes. Es gibt mehrere Ansätze, Betroffenen zu helfen – angefangen bei Diäten über psychologische Betreuung bis hin zu Magenverkleinerungen.

Was erwarten Sie von Hausärzten mit Blick auf das geplante DMP?

Adipositas-Behandlung setzt immer ein hohes Maß an sprechender Medizin voraus. Hausärzte müssen die Patienten überzeugen, dass sie ihr Verhalten ändern und bei der Stange bleiben. Schon zehn Kilo weniger wären besser als zehn Kilo mehr. Das zu begleiten und die verschiedenen Versorgungsebenen zu koordinieren, ist Aufgabe des Hausarztes. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir wie bei Diabetes eine nationale Adipositasstrategie aufsetzen. Adipositas ist nicht nur ein gesundheits-, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem.

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