Frankreich

Debatte um rätselhafte Missbildungen

Frankreichs Behörden streiten sich bei der Suche nach Ursachen für Missbildungen und provozieren somit das Misstrauen der Bevölkerung.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Die Zahl der Missbildungen bei Babys ist seit 2009 in einigen Regionen Frankreichs deutlich angestiegen

Die Zahl der Missbildungen bei Babys ist seit 2009 in einigen Regionen Frankreichs deutlich angestiegen

© FlorianTM / stock.adobe.com

PARIS. In Frankreich werden jedes Jahr knapp 150 Säuglinge mit Missbildungen an Armen oder Händen geboren.

Da die Zahl dieser Missbildungen seit 2009 in einigen Regionen Frankreichs deutlich angestiegen ist, streiten seit mehreren Wochen regionale und zentrale Gesundheitsämter über mögliche Ursachen. In dem nördlich von Lyon liegenden Département Ain wird ein Zusammenhang mit Pestiziden vermutet, eine Theorie, die in Paris als unbegründet und methodologisch falsch zurückgewiesen wird.

Um endlich Klarheit zu schaffen hat Gesundheitsministerin Dr Agnès Buzyn eine unabhängige Expertenkommission einberufen. Diese hat den Auftrag, bis Januar 2019 einen umfassenden Bericht zu diesem Thema darzulegen. Mittlerweile herrscht nicht nur in den betroffenen Regionen Verunsicherung, landesweit sind werdende Mütter darüber beunruhigt, dass womöglich auch ihre eigenen Kinder mit Missbildungen zur Welt kommen könnten.

Fehlgeburten nehmen zu

In Frankreich werden angeborene Missbildungen in sieben regionalen Registern erfasst. Bereits 2016 meldete das Register der Rhône-Alpes Region Remena, dass zwischen 2009 und 2014 sechs Kinder im ländlichen Departement Ain ohne Gliedmaßen (Arm oder Hand) geboren wurden. Damals interessierte die Nachricht allerdings kaum jemand. Erst im September 2018 erlebte das Phänomen großes Medieninteresse, als ein Fernsehteam über diese Fälle berichtete.

Da all diese Kinder binnen fünf Jahren in einem Umkreis von 17 Kilometern geboren wurden, es jedoch in dieser Zeit nie einen chemischen Unfall oder eine vergleichbare Katastrophe gegeben hatte, forderte Remena weitere Untersuchungen an. Das Register sprach von einem möglichen Zusammenhang der Verwendung von Pestiziden, da diese im Département Ain aufgrund des breiten Obstanbaus besonders häufig zum Einsatz kommen.

Behörden sind sich uneins

Ganz anders sieht es die Pariser Zentralstelle für öffentliches Gesundheitswesen „ Santé Publique France “ (SPF), die ebenfalls eine Ermittlung zu den Fällen in Ain durchgeführt hat. Sie hält die Fälle weiterhin für ungeklärt, da ihrer Ansicht nach keine Verbindungen zu Pestiziden oder chemischen Stoffen erkennbar sind. Zugleich gab aber die SPF bekannt, dass eine ähnliche überdurchschnittliche Zahl von Fällen in- und um Guidel, einer 11 500-Einwohnerstadt in der südlichen Bretagne, registriert wurde. Dort sind von 2011 bis 2013 vier Säuglinge mit ähnlichen Arm- oder Handfehlgeburten zur Welt gekommen.

Der Streit zwischen den regionalen und zentralen Behörden hat sich in den letzten Wochen zugespitzt und entwickelte sich zu einem Personenkonflikt zwischen den jeweiligen Leiterinnen der beiden Ämter, die sich gegenseitig vorwerfen, gravierende Fehler in der Ursachensuche begangen zu haben. Zudem droht dem Rhône-Alpes Register, welches vom Universitätskrankenhaus Lyon finanziert wird, bald eine drastische Kürzung seines Etats.

Mitarbeiter des Registers sprechen von Einschüchterungsversuchen, welche aus Paris von SPF angeordnet gewesen sein sollen. Der Vorwurf wurde von SPF als absurd zurückgewiesen. An dieser Stelle hat sich das Gesundheitsministerium eingeschaltet und das Universitätskrankenhaus in Lyon aufgefordert, das Register auch in den kommenden Jahren weiter zu finanzieren.

In Ain sowie in Guidel berichten derweil Einheimische, dass Pestiziden in ihren Gebieten oft und breit eingesetzt werden. Laut SPF beweisen aber ausführliche Gespräche mit den Eltern der betroffenen Kinder, dass niemand von ihnen weder vor noch während der Schwangerschaften in direktem Kontakt mit Pestiziden gestanden hat. Die kategorische Ablehnung seitens der SPF, die Pestizide könnten eine der Ursachen sein, lässt die Verunsicherung in der Bevölkerung eher wachsen. Gerüchte und Panikmacherei nehmen zu.

Es wird klar, dass Schuldzuweisungen der Behörden statt Aufdeckung der Ursachen das Misstrauen in der Bevölkerung anfeuern .

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