Lockdown oder Lockerung

Dritte Welle: Ärzte warnen vor Corona-Kollaps auf den Intensivstationen

Intensivmediziner fürchten schon bald eine Überlastung des Gesundheitssystems durch COVID-19. Bund und Länder müssten daher augenblicklich harte Schritte einleiten. Kanzlerin Angela Merkel droht unterdessen den Ländern.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht: | aktualisiert:
Äußerte am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“ ihr Unverständnis über Öffnungsdiskussionen in der derzeitigen Pandemie-Lage: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Äußerte am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“ ihr Unverständnis über Öffnungsdiskussionen in der derzeitigen Pandemie-Lage: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© Wolfgang Borrs/NDR/dpa

Berlin. Deutschlands Intensivmediziner haben angesichts der steigenden Zahl von Corona-Neuinfektionen einen dramatischen Appell an Bund und Länder abgesetzt. „Wir müssen von den hohen Zahlen runter! Jetzt“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Professor Gernot Marx.

Ein zwei- oder dreiwöchiger „harter Lockdown“ lasse sich über die Osterferien gut realisieren, sagte Marx. Dies könne „zahlreiche Menschenleben retten und noch viel mehr vor lebenslangen Langzeitfolgen durch COVID bewahren“.

Shutdown über die Osterferien

Laut DIVI-Intensivregister sind derzeit rund 1640 Betten für COVID-19-Patienten frei. Seit Anfang März ist die Zahl der Fälle den Angaben zufolge auf knapp 3450 „hochgeschnellt“.

Die Zahl werde in den kommenden zweieinhalb Wochen weiter „exponentiell wachsen“, warnte der Leiter des DIVI-Intensivregisters, Professor Christian Karagiannidis. „Bei mehr als 5000 COVID-19-Patienten wird es wirklich langsam kritisch. Das heißt, es muss jetzt etwas passieren.“

Laschet: Nächste MPK als Präsenztreffen

CDU-Chef Armin Laschet forderte unterdessen ein besseres Krisenmanagement. Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) solle als Präsenztreffen stattfinden. Der Teilnehmerkreis sei auf die Regierungschefs der Länder, die Chefs der Staatskanzleien sowie die Bundeskanzlerin und den Chef des Bundeskanzleramts zu begrenzen. „Aber, dass 60, 70, 80 Leute an einer solchen Konferenz beteiligt sind, trägt nicht zur Effektivität und zum Krisenmanagement in diesen Zeiten bei“, sagte Laschet nach einer CDU-Präsidiumssitzung am Montag.

Es könne nicht sein, dass die halbe Bundesregierung und die Regierungschefs der Länder über Stunden vor Bildschirmen säßen und jedes Wort durchgestochen werde, sagte Laschet. Das sei der Corona-Krise nicht angemessen.

Außerdem müsse man von der Impf-Bürokratie wegkommen. Diese sei ein Grund dafür, dass Deutschland beim Impfen nicht schnell genug vorankomme. So müsse etwa auch über die Osterfeiertage weitergeimpft werden, forderte Laschet.

Mehr Verlässlichkeit in der Bekämpfung des Coronavirus forderte auch SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas. „Es muss Schluss sein mit Beschlüssen, die bereits am nächsten Tag Makulatur sind“, sagte Bas am Montag. Dazu brauche es keine neuen Regeln, dazu brauche es „den politischen Willen, mittels vorhandener Instrumentarien gemeinsam die Corona-Pandemie einzugrenzen“.

Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Länder dazu aufgerufen, die Anfang März vereinbarte „Notbremse“ einzuhalten und bei Inzidenzen von über 100 strengere Beschränkungen durchzusetzen. Es gelte „jetzt“, die dritte Welle der Pandemie zu brechen, sagte Merkel in der ARD-Sendung „Anne Will“.

IfSG verpflichtet zum Handeln

Den „Instrumentenkasten“ dafür hätten Bund und Länder entwickelt, betonte Merkel. Die Umsetzung sei aber „nicht so, dass ich schon überzeugt bin, dass diese dritte Welle gebrochen wird“. Daher müssten die Länder zügig nachlegen. Ansonsten müsse der Bund über eine Änderung am Infektionsschutzgesetz (IfSG) eingreifen.

In dem Gesetz sei klar geregelt, dass bei steigenden Inzidenzen „umfassende Maßnahmen“ auf den Weg zu bringen seien, sagte Merkel. „Davon sehen wir im Augenblick noch nichts.“ Es gehe in der Bekämpfung der Pandemie aber immer um ein „Miteinander von Bund und Ländern“, versicherte die Kanzlerin.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, er könne sich mehr Kompetenzen beim Bund vorstellen. Er sei „da sehr dafür und offen“, sagte der CSU-Chef den ARD-„Tagesthemen“.

Ob sich Bund und Länder noch vor Ostern beraten, ließ Merkel offen. Es brauche derzeit keine MPK, „wir brauchen Handeln in den Ländern“. Sie werde das genau beobachten in den kommenden Tagen.

„Beim Impfen flexibler werden“

Zur Impfkampagne erklärte Merkel, Stand heute seien mehr als zehn Prozent der Bundesbürger geimpft. Im zweiten Quartal stünden 60 Millionen Dosen „plus zehn von Johnson&Johnson“ für etwa 40 Millionen Bundesbürger zur Verfügung – „wenn die Voraussagen so eintreffen“. Ende Juni könne man somit mehr als 50 Millionen Menschen ein Impfangebot machen. „Das ist auch eine ganze Menge.“ Sie halte deshalb ihr Versprechen aufrecht, dass jeder Bundesbürger bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot erhalte.

Deutschland müsse beim Impfen jedoch „an vielen Stellen noch flexibler werden“, so Merkel. Die Impfverordnung lasse das zu. Wenn etwa im Zuge des regelhaften Einstiegs der Hausärzte beim Impfen in einer Praxis abends drei Dosen übrig blieben, „dann müssen die verimpft werden“. Dasselbe gelte für die Impfzentren.

Die Betriebskassen mahnten unterdessen die Einbindung der Betriebsärzte in die Impfkampagne ein. „Der betriebliche Gesundheitsschutz und die Infrastruktur der Unternehmen in Deutschland bieten die idealen Voraussetzungen, um gezielt gegen eine weitere Ausbreitung des Virus vorzugehen“, sagte der Vorstand des BKK Dachverbands Franz Knieps am Montag.

Die BKKen und ihre Trägerunternehmen stünden bereit, um die Impfraten der rund 44,5 Millionen erwerbstätigen Bundesbürger zu erhöhen. Möglich werde dies durch die direkte Ansprache im Betrieb.

Deutschlands Tierärzte riefen die Politik dazu auf, auch ihren Berufsstand beim Impfen einzubinden. In den USA sei dies bereits geschehen. „Dieser pragmatische Ansatz trägt dort zum großen Erfolg bei“, sagte der Präsident des Bundesverbands der praktizierenden Tierärzte, Siegfried Moder, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Montag. (Mit Material von dpa)

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