Intensivmedizin/Innovationsfonds

ERIC soll Langzeitfolgen bei Beatmungspatienten mindern

Die Gefahr schwerer Langzeiterkrankungen bei intensivmedizinisch versorgten Patienten ist groß. Ein Innovationsfondsprojekt will Abhilfe schaffen – auch mithilfe von Tele-Visiten.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Laut Charité werden jährlich rund 2,1 Millionen Patienten auf deutschen Intensivstationen versorgt. 400.000 werden künstlich beatmet.

Laut Charité werden jährlich rund 2,1 Millionen Patienten auf deutschen Intensivstationen versorgt. 400.000 werden künstlich beatmet.

© Drägerwerk/dpa

Berlin. Langzeitfolgen intensivmedizinischer Therapien lassen sich mit einem digital unterstützten Fallmanagement reduzieren. Davon zeigen sich die Partner des Projekts „Enhanced Recovery after Intensive Care“ (ERIC) überzeugt – darunter die Charité und die Barmer. Für Intensivpatienten sei eine „bestmögliche Versorgung überlebenswichtig“, die Coronavirus-Pandemie sei Beleg dafür, sagte die Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Charité, Professor Claudia Spies, bei der Vorstellung des Projekts am Donnerstag. Ziel von ERIC sei es, das rehabilitative Potenzial eines Intensivpatienten bestmöglich auszuschöpfen.

Rollende Tele-Roboter helfen

Der Hebel dafür ist ein intersektorales Case-Care-Management. Sichergestellt wird das über eine an der Charité eingerichtete zentrale E-Health-Plattform. In täglichen virtuellen Visiten tauschen sich Ärzte und Pflegekräfte mit den Kollegen anderer Häuser darüber aus. Dabei assistieren ihnen rollende Tele-Roboter. Die Charité fungiert als eine Art Ankerzentrum. Im Rahmen der Tele-Visite wird der Zustand eines Intensivpatienten anhand von acht Qualitätsindikatoren – etwa Medikation oder Ernährung – gemeinsam besprochen. Hausärzte, Physiotherapeuten und Reha-Zentren werden über die Plattform ebenfalls einbezogen.

In der Intensivmedizin geht es nicht nur darum, ob, sondern auch wie ein Patient eine Erkrankung überlebt.

Professor Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Berliner Charité

Laut Charité werden jährlich rund 2,1 Millionen Patienten auf deutschen Intensivstationen versorgt. 400. 000 werden künstlich beatmet. Allein ihre Akutversorgung beansprucht laut Experten 13 bis 14 Prozent der Gesamtkosten des Kliniksektors. Das wären rund zehn Milliarden Euro.

Intensivmedizinisch versorgte Patienten trügen ein hohes Risiko, langfristig zu erkranken, sagte Spies. Vier von zehn beatmeten Patienten zeigten auch drei Monate nach Entlassung noch kognitive Beeinträchtigungen.

Bei einem Viertel kämen diese einer milden Alzheimer-Erkrankung gleich. Jeder dritte Patient beschreibe Symptome einer Depression, sieben Prozent zeigten Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch komme es zu Einschränkungen bei der Mobilität.

Intensivpatienten bräuchten daher eine „engmaschige Behandlung“. Ansonsten landeten viele mit schweren Langzeitschäden im Pflegeheim.

Vorarbeiten für COVID-19

Corona habe dafür gesorgt, dass mehr Licht auf die Intensivmedizin gefallen sei, so Spies. Gleichzeitig habe ERIC wichtige Vorarbeiten für die Versorgung schwerer Verläufe bei COVID-19 geliefert. Das Konzept „SAVE-Brandenburg/Berlin@Covid-19“ basiere auf dem Projekt ERIC.

ERIC läuft seit 2017. Das Projekt wird über den Innovationsfonds für 44 Monate mit 6,8 Millionen Euro vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) gefördert. Bis Ende März kam ERIC bei rund 1500 Patienten zum Einsatz. Die Nachuntersuchung der Patienten erfolgt über einen Zeitraum von sechs Monaten. Sie soll im Oktober abgeschlossen sein. Zwölf Intensivstationen mit bis zu 25 Betten beteiligen sich. Das Projekt stand auch Versicherten anderer Kassen offen.

ERIC zeige exemplarisch, worum es bei der Förderung durch den Innovationsfonds gehe. „Zu erproben, wie Versorgungsstrukturen besser miteinander vernetzt werden können“, sagte der Vorsitzende des Innovationsausschusses beim GBA, Professor Josef Hecken. Erfolgreich sei ein Vorhaben, wenn es die Versorgungsqualität hebe und Schnittstellenprobleme beseitige. „Auch Scheitern eines Projektes ist dabei eine Erkenntnis.“

Er hoffe, dass mindestens 30 Prozent der bislang 150 vom Innovationsfonds geförderten Versorgungsprojekte „in der Regelversorgung oder anderen Vertragskonstellationen ihren Niederschlag finden“, so Hecken. „Wir wollen Projekte haben, wo Praktiker für Praktiker und unter Beteiligung eines Kostenträgers sagen: So kann es gehen.“ ERIC gehöre in diese Kategorie.

Drei Monate Beratungszeit

Laut GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 hat der Ausschuss nach Eingang eines Evaluationsberichts drei Monate Beratungszeit. Stellt der Ausschuss fest, dass das betreffende Vorhaben in die Regelversorgung überführt werden sollte, hat der GBA anschließend ein Jahr Zeit, Regelungen zur Aufnahme in die Versorgung zu beschließen. Sollte ERIC in die Regelversorgung übernommen werden, sind die im Projekt erbrachten zusätzlichen Leistungen lediglich in den Klinikfallpauschalen abzubilden.

ERIC könne ein wichtiger Baustein der Qualitätsverbesserung in der Intensivmedizin werden, ergänzte Barmer-Vorstandsmitglied Dr. Mani Rafii. „COVID-19 habe gezeigt, dass intensivmedizinische Versorgung ein hohes Maß an Qualität brauche. Besonders kleinere Krankenhäuser könnten von der Erfahrung hochspezialisierter Zentren profitieren. ERIC besitze das Potenzial, „genau das zu liefern“, zeigte sich Rafii überzeugt.

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