Mitglieder-Umfrage des Marburger Bundes

Schau-Trinken gegen den Karriere-Knick

Um nicht als schwanger zu gelten, trinken junge Klinik-Ärztinnen bewusst Alkohol vor den Augen des Chefs: Dies und andere Unmöglichkeiten zeigt eine Umfrage zu Machtstrukten in Hamburger Krankenhäusern.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Eine Mitglieder-Umfrage des Marburger Bundes Hamburg zu Machtstrukturen und Führungskultur in den Krankenhäusern zeigt vor allem für junge Ärztinnen teils erschreckende Zustände.

Eine Mitglieder-Umfrage des Marburger Bundes Hamburg zu Machtstrukturen und Führungskultur in den Krankenhäusern zeigt vor allem für junge Ärztinnen teils erschreckende Zustände.

© picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke

Hamburg. Unglaublich, was eine junge Assistenzärztin der Ärzte Zeitung berichtet: „Auf Betriebsfeiern trinken wir jungen Frauen bewusst Alkohol, damit der Chef sieht: Wir sind nicht schwanger.“ Zu groß ist die Befürchtung, dass die leitenden Ärzte die Assistentinnen wegen einer Schwangerschaft benachteiligen.

„Ich wurde in acht von acht Bewerbungsgesprächen nach meiner Familienplanung gefragt. Dabei ist das verboten!“, berichtet die Kollegin. Dass man diese Erfahrung nicht verallgemeinern kann, weiß sie auch. „Aber das ist meine Erfahrung, die ich zumindest auf eine breite anekdotische Evidenz stellen kann.“

Bedenkt man, was kürzlich eine Mitglieder-Umfrage des Marburger Bundes Hamburg zu Machtstrukturen und Führungskultur zutage förderte, ist die Ärztin aber sicher nicht allein. Fast 60 Prozent der Befragten erleben die Hierarchien in ihrem Krankenhaus als „machtzentriert“, denn die Entscheidungen liegen bei nur wenigen Personen.

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Nur knappe 29 Prozent der Antworten fanden die Hierarchie in ihrem Haus konstruktiv und orientierend. Unglaubliche 81 Prozent haben im Laufe ihrer ärztlichen Laufbahn schon einmal rassistische, sexistische oder andere sachfremde Kommentare gehört. Bei den Frauen waren es 86,1 Prozent.

Aufschlussreiche Freitextantworten

Die zahlreichen Freitextantworten der Umfrage illustrieren die Zahlen. Auf die Frage, welche Kommentare sich die jungen Kolleginnen und Kollegen von ihren Vorgesetzten anhören mussten, zitierten sie solcherlei Sätze:

„Wenn du planen solltest, ein Kind zu bekommen, geht es hier nicht für dich weiter.“ Oder: „Frage von Chef: Warum hatten wir noch nie Sex?“ Oder rassistische und schwulenfeindliche Kommentare. Oder dies: „Als Frau sollte man nicht in den OP, da muss man sich konzentrieren und darf mit den Gedanken nicht bei der Familie sein.“

Im Hinblick auf Führungsentscheidungen kritisierten die Antworten unter anderem, dass die Entscheidungen des Chefarztes in der Klinik auch dann gelten, wenn sie nicht den Leitlinien oder Studien entsprechen. Oder: „Männerzirkel“ beteiligen Frauen nicht an Führungsentscheidungen. Oder: Förderungen orientieren sich nicht an der Leistung, sondern an subjektiver Beliebtheit.

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Dazu passt, dass die Besetzungsverfahren für ärztlichen Führungspositionen von fast 52 Prozent der Befragten als „intransparent“ und wenig an den objektiven Kriterien orientiert erlebt werden.

Wie man die Situation verbessern kann, zeigt ein Blick nach Schweden. „Ich bin wirklich erstaunt, dass es in Deutschland eine so hohe Rate des Machtmissbrauchs gibt“, erklärte Christan Berg, Co-Geschäftsführer der Allbright Stiftung der Ärzte Zeitung. Dagegen vorzugehen sei eine Führungsaufgabe. Er plädierte für eine klare Linie: „Man kann solche Bemerkungen nicht tolerieren. Wer solche Dinge sagt, kann nicht in einem Krankenhaus in einer verantwortlichen Position bleiben und darf keine Personalverantwortung haben.“

Mehr Öffentlichkeit ist geboten

Wesentlich besser läuft es in Abteilungen, wo Männer und Frauen zu gleichen Teilen vertreten sind. „Dann ist es auch für Männer einfacher und selbstverständlicher, Elternzeit zu nehmen.“ Und Frauen in Elternzeit hätten weniger Nachteile. „So etwas, wie die Rabenmutter-Diskussion gibt es in Schweden gar nicht“, sagte Berg.

Um die Situation zu verbessern pochte Berg auf Transparenz: „Wir müssen über das Problem öffentlich sprechen!“ Außerdem brauche es mehr Kontrollgremien in Krankenhäusern, die darauf achten, dass alle sich an die Regeln halten. Und die Ärztinnen und Ärzte müssen den Mut aufbringen, Machtmissbrauch anzuzeigen, meint Berg.

Dass Machtmissbrauch nicht allein eine Sache der Krankenhäuser ist, betont Dr. Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer und Vorsitzender des Marburger Bundes in Hamburg. Es handele sich um ein kulturelles Problem, meint Emami. „Die Kultur des Umgangs mit nachgeordneten Mitarbeitenden im Gesundheitswesen, um es mal gerade heraus zu sagen, ist vielerorts noch ein sehr rückständiges. Im Vergleich zu anderen Branchen hinken wir hinterher.“

Hierarchien im Gesundheitswesen seien richtig und wichtig, meint Emami. „Aber unsere Hierarchie verbunden mit starkem Machtgefälle gibt es woanders nicht – und da funktioniert die Medizin auch.“

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