Zehn Jahre Patientenverfügung

„Entscheide dich, damit nicht andere über dich entscheiden“

Im September 2009 trat das Patientenverfügungsgesetz in Deutschland in Kraft. Nicht alle Fragen des selbstbestimmten Sterbens konnten damit gelöst werden. Aber seither gibt es immerhin erheblich mehr Klarheit – und Ärzte und Angehörige wurden entlastet.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Die Patientenverfügung – ein wichtiges Signal, um Patientenrechte zu stärken.

Die Patientenverfügung – ein wichtiges Signal, um Patientenrechte zu stärken.

© Ralf Kalytta / Fotolia

Das Selbstbestimmungsrecht wäre entscheidend entwertet, wenn es Festlegungen für zukünftige Konfliktlagen, in denen der Patient aktuell nicht mehr entscheiden kann, nicht umfassen würde.“ So begründet trat im September 2009 das Patientenverfügungsgesetz in Kraft.

Der Weg dorthin hatte Jahre gedauert. 2004 legte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einen ersten Entwurf vor, zog ihn mit Beginn der Großen Koalition aber wieder zurück. Eine parteiübergreifende Gruppe um den Vorsitzenden der SPD-Arbeitsgruppe Recht, Joachim Stünker, hat ihn 2007 überarbeitet.

Ein Selbstläufer war das dann nicht. 318 von 612 Bundestagsabgeordneten stimmten dafür, 232 dagegen; 62 Abgeordnete enthielten sich oder gaben ihre Stimme nicht ab. Gegenentwürfe stellten infrage, ob Menschen sich so in eine schwere Krankheit hineinversetzen können, dass man eine Patientenverfügung tatsächlich als verbindlich ansehen kann.

Der letztlich verabschiedete „Stünker-Entwurf“ beantwortet dies mit Ja. Entsprechend urteilte 2017 der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, dass es nicht zulässig ist, mit Verweis etwa auf einen katholischen Glauben Einschränkungen in die Verfügung hineinzuinterpretieren, die dort nicht stehen.

„Das Gesetz hat schon Klarheit gebracht“, sagt Karin Gollan, Leiterin des Fachbereichs Ethik der Malteser Deutschland in Köln. „Das war ein wichtiges Signal, Patientenrechte zu stärken.“

„Entscheide dich, damit nicht andere über dich entscheiden“, heißt es entsprechend auf der Homepage des gemeinnützigen katholischen Krankenhaus- und Heimträgers. Dass diese anderen nicht automatisch der Ehepartner oder andere nahe Angehörige sind, sei ein immer noch verbreiteter Fehlglaube. Aber nur eine Vorsorgevollmacht könne dies sicherstellen.

„Kein Freibrief zum Sterben lassen“

In Krankenhäusern und Heimen werde immer häufiger nach einer Patientenverfügung gefragt, die Antwort „Ja“ dann aber gerne einseitig verstanden. „Man schaut gar nicht mehr rein“, berichtet auch Thomas Sitte, bis 2010 niedergelassener Palliativmediziner, seitdem Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung in Fulda. „Eine Patientenverfügung ist aber kein Freibrief zum Sterben lassen. Die kann auch ganz anders aussehen.“

Bei anderen Ärzten sei der veränderte Blick auf Selbstbestimmung und Menschenwürde noch nicht angekommen, weiß Gollan. „Am Ende war noch jeder dankbar, dem ich das Leben gerettet habe“ – diese Einstellung gebe es immer noch. Patientenverfügungen würden dann schlicht nicht beachtet und Bevollmächtigte unter Druck gesetzt: „Wollen Sie das wirklich?“

Auch die Bundesärztekammer hat offenbar noch nicht zu einer klaren Bewertung des Patientenverfügungsgesetzes gefunden. Zu einem Interview über die bisherigen Erfahrungen war sie nicht bereit. Hintergrund ist unter anderem wohl die – ähnlich den Gegenentwürfen im Gesetzgebungsverfahren – auch bei manchen Ärzten bestehende Skepsis, dass Patienten ihre Verfügung nicht wirklich reflektiert erstellt haben.

Das komme auch vor, vor allem wegen unzureichender Informationen, bestätigt Sitte. Doch Zweifel befreiten nicht von der Pflicht, die Patientenverfügung umzusetzen – selbst wenn sie schon älter ist. Gegebenenfalls müsse das Betreuungsgericht den mutmaßlichen Willen ermitteln. „Das klappt in der Regel richtig gut, wird aber viel zu selten genutzt.“

„Es gibt schon noch Ärzte, die sagen: Ich entscheide“, berichtet auch Christiane Rock, Juristin und Referentin für Pflegepolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Aber die Akzeptanz von Patientenverfügungen sei mit dem Gesetz klar gestiegen.

Bessere Beratung beim Verfassen nötig

Andrea Hauser, Juristin bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), nimmt hier Ärzte und Einrichtungen in Schutz. Immerhin gehe es um menschliches Leben. Entscheidungen dagegen seien nicht mehr rückgängig zu machen. Doch auch sie betont, dass das Gesetz Unsicherheiten beseitigen konnte. Nachfragen aus den Kliniken gebe es inzwischen kaum noch.

Verbraucherschützerin Rock fordert allerdings eine bessere Beratung und Unterstützung für die Menschen, die eine Patientenverfügung abfassen wollen. Mit einer entsprechenden Abrechnungsziffer für Ärzte sollen nach ihrer Vorstellung hier auch die Krankenkassen mit in die Verantwortung gehen.

Fast auf den Tag genau zum zehnten Jahrestag des Patientenverfügungsgesetzes hat der BGH die schriftlichen Gründe zu seinen Urteilen zum ärztlich begleiteten Suizid veröffentlicht. Dort greifen die Karlsruher Richter die Begründung des Patientenverfügungsgesetzes auf: „Die Würde des Menschen gebietet es, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.“

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