Versorgungsdichte

Fehlen in Deutschland Ärzte oder smarte Versorgungsstrukturen?

Ärztemangel oder zu hohe Arztdichte? Beim 5. Landeskongress Gesundheit in Stuttgart waren sich Experten nur in einem Punkt einig: Die 500 Kliniken, die derzeit am Netz sind, sind zu viel.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Obwohl bundesweit die Zahl der Mediziner steigt, werden in einigen Regionen händeringend Ärzte gesucht.

Obwohl bundesweit die Zahl der Mediziner steigt, werden in einigen Regionen händeringend Ärzte gesucht.

© kamasigns / stock.adobe.com

Stuttgart. Sind mehr Ärzte nötig, um in Deutschland eine gute Versorgung zu sichern? Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender der Gesundheitsweisen, sagt Nein, SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach sagt Ja. Beim 5. Landeskongress Gesundheit am Freitag in Stuttgart kreuzten beide argumentativ die Klinge.

Deutschland weist mit 4,1 Ärzten je 1000 Einwohner eine im Vergleich der Industriestaaten hohe Arztdichte auf, erläuterte Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Rechnet man diesen Wert in die Versorgung mit Ärzten pro 1000 Belegungstage im Krankenhaus um, dann sieht die Welt ganz anders aus: In Deutschland sind es statistisch 0,9 Ärzte, in Dänemark dagegen stehen statistisch 3,3 Ärzte pro 1000 Belegungstage am Krankenbett.

„Wir knacken die Marke von 400.000“

Der Grund: Es gibt hierzulande überdurchschnittlich viele Krankenhausbetten je 1000 Einwohner: 5,1 sind es im OECD-Durchschnitt, 8,1 in Deutschland. Die Probleme der Versorgung ob bei Ärzten oder Pflegekräften, folgert Gerlach, sind insbesondere struktureller Art.

Nach der Wiedervereinigung versorgten im Jahr 1990 rund 237 .000 Ärzte die Bevölkerung – im Jahr 2018 waren es bereits 385 .000. „Und in diesem Jahr werden wir in Deutschland vermutlich die Marke von 400 .000 knacken“, sagte Gerlach. Deutschland sei auf dem Weg zum Spitzenreiter unter den Industrieländern bei der Arzt-Einwohner-Relation, so der Gesundheitsweise.

Minuten-Medizin wird Krankheitsbildern nicht gerecht

Dagegen hält der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach einen deutlichen Schub bei den Medizinstudienplätzen für nötig. Die immer höhere Komplexität der Medizin erhöhe die Nachfrage nach qualifizierten Ärzten. Diese immer anspruchsvoller werdende Versorgung lasse sich mit der bisherigen „Minuten-Medizin“ je Arzt-Patienten-Kontakt nicht mehr abbilden.

In den Konsequenzen, die auf Seiten der Leistungsanbieter gezogen werden müssten, waren sich Gerlach und Lauterbach dann wieder in vielen Punkten einig: Bundesweit rund 500 Kliniken, so der SPD-Politiker, die gegenwärtig am Netz seien, würden seiner Ansicht nach nicht mehr benötigt. Ähnlich sieht dies Gerlach: Die Angebotsstrukturen seien nicht bedarfsgerecht, hinzu kämen unverbundene Parallelstrukturen durch die sektorale Trennung.

Ein Hausarzt sieht 250 Patienten pro Woche

Im Ergebnis arbeiteten Ärzte in Klinik und Praxis im Hamsterrad, so dass in Deutschland auch der Schutz vor zu viel Medizin unzureichend sei, warnte Gerlach. In Deutschland sehe ein Hausarzt pro Woche im Schnitt 250 Patienten, in Schweden seien es 50. Abwarten sei mit Blick auf nötige Strukturreformen keine Option, denn „der Druck wird wachsen“, prognostizierte der Gesundheitsweise.

Professor Boris Augurzky vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sieht das deutsche Gesundheitswesen sogar im „kalten Krieg“. Der Grad, in dem die Regulierungsschraube durch neue Reformen immer weiter angezogen wird, erinnert den Ökonomen an ein „Wettrüsten“.

„Endzeitstimmung in Kliniken“

Die hohe Regulierungsdichte binde viele Ressourcen und erzeuge eine Misstrauenskultur, während die Handlungsspielräume der einzelnen Akteure dagegen immer weiter abnähmen. Die Folgen dieser Entwicklung zeigten sich beispielhaft in Krankenhäusern. „Dort herrscht vereinzelt Endzeitstimmung.“

Augurzky mahnte als Alternative mehr Gestaltungsfreiheit zusammen mit mehr Verantwortung der Akteure vor Ort an. Als einen möglichen Ausweg schlug er regionale Versorgungsbudgets vor. Es gebe einige Landkreise in Baden-Württemberg, in denen er sich ein solches Modell vorstellen könnte, so der Wissenschaftler.

Aus Sicht von Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) liegt bei der hochtourigen Gesetzesmaschine von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vieles im Argen. Er vermisst eine angemessene Berücksichtigung der föderalen Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern. „Der Zentralismus dieser Gesetze macht mich frösteln“, so Lucha.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Ärztemangel auf dem Land

AOK unterstützt Thüringen-Stipendium

Das könnte Sie auch interessieren
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Dr. med. Gerhard M. Sontheimer (ANregiomed, Region Ansbach) und Holger Baumann (Kliniken der Stadt Köln, v.l.) haben in der Praxis gute Erfahrungen mit Systempartnerschaften gemacht.

© Philips

Mehr Spielraum für moderne Prozesse in der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Philips GmbH Market DACH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse