GBA geißelt "Einkaufen auf Kassen-Kosten"

Der Streit um die enterale Ernährung bildete kürzlich den Höhepunkt einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Wann zahlen die Kassen für die künstliche Ernährung? Darüber streiten Selbstverwaltung und Ministerium.

Wann zahlen die Kassen für die künstliche Ernährung? Darüber streiten Selbstverwaltung und Ministerium.

© Foto: imago

Nicht etwa unterschiedliche Ansichten über Sinnhaftigkeit oder Nonsens der Insolvenzfähigkeit von Kassen oder über den Vorrang von Ärzteverbänden bei Hausarztverträgen standen im Kreuzfeuer der Kritik. Den höchsten Unterhaltungsfaktor bot vielmehr ein Randaspekt: die enterale Ernährung und der Antrag der großen Koalition, die Versorgung der Versicherten auszuweiten.

In einem überarbeiteten Passus im Sozialgesetzbuch sollen Versicherte mit "angeborenen seltenen Stoffwechseldefekten" oder anderen diätpflichtigen Erkrankungen, die ohne diätetische Intervention zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen, künftig einen Leistungsanspruch auf medizinisch notwendige bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung erhalten. Dies soll dann gelten, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Gleiches gilt für Versicherte mit "fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden Ernährung".

Kassenverbands-Vize sieht einen "verminten Sumpf"

Bislang nennt Paragraf 33 SGB V nur vier Produktgruppen diätetischer Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Rahmen der enteralen Ernährung: Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung. Um seiner Ablehnung Nachdruck zu verleihen, unternahm der Vizechef des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, einen Ausflug in die Welt der Frösche und Lurche. Die Politik gebe sich mit ihren Plänen auf einen "Teich voller Glatteis", in einen "verminten Sumpf", kritisierte er.

Der Entwurf bedeute nichts anderes als das allgemeine Recht auf "Essen und Trinken als Aufgabe der GKV. Das ist die Herausforderung." Wenn sich die Koalition schon in diesen Sumpf hineinbegeben wolle, dann auch mit eindeutigen rechtlichen Vorgaben. Alles andere sei "Unsinn". Doch forderte von Stackelberg, besser alles beim Alten bewenden zu lassen: "Ich rate Ihnen dringend, lassen Sie die Finger davon". Statt des Gesetzgebers solle für die enterale Ernährung weiter der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zuständig sein.

Auch dessen Vorsitzender Dr. Rainer Hess lehnte die Pläne von Schwarz-Rot kategorisch ab: "Es geht hier um freiverkäufliche Lebensmittel, auch wenn es bilanzierte Diäten sind. Das ist dasselbe wie freiverkäufliche Arzneimittel und Medizinprodukte." Für all diese Aspekte gelte die Richtlinienkompetenz des GBA. Es sei schließlich dessen originäre Aufgabe, zu definieren, was medizinisch notwendig sei und was nicht.

"Beeindruckende Achse" von Kassen und GBA

Nach Ansicht von Hess schafft der Formulierungsvorschlag einen so umfassenden Rechtsanspruch auf Versorgung mit bilanzierten Diäten ("fehlende oder eingeschränkte Fähigkeit zur ausreichenden Ernährung"), dass jeder Versuch durch den GBA, diesen Anspruch durch Richtlinien einzuschränken, zum Scheitern verurteilt sei und jahrelange Rechtsstreite provoziert. Angesichts der einmütigen Kritik beeilte sich der CDU-Abgeordnete Willi Zylajew, die Wogen zu glätten: "Diese Achse GBA und Spitzenfunktionäre der GKV ist beeindruckend." Da bleibe "gar keine andere Chance", als Hess und von Stackelberg entgegen zu kommen.

Der Endlos-Streit um die enterale Ernährung

Im Februar 2005 hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie erlassen, nach der künstliche Ernährung unter anderem nur bei schweren Bewusstseinsstörungen und vollständiger Störung der Schluckfunktion von den Kassen bezahlt wird. Etwa bei 70 Prozent der Patienten, so der GBA, handele es sich um Heimbewohner, bei denen eine künstliche Ernährung gar nicht medizinisch notwendig ist.

Doch das Gesundheitsministerium (BMG) beanstandete die Richtlinie nach Protesten von Verbänden. Im Oktober 2005 setzte das BMG eine eigene Richtlinie in Kraft, obwohl es keine Fachaufsicht über den GBA ausübt. Der Ausschuss klagte dagegen. Im März 2008 bestätigte das Bundessozialgericht die GBA-Position. (fst)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Sparen, solange es der Politik beliebt

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