Gericht verordnet KBV Transparenz

Marketing oder Wissenschaft: An Anwendungsbeobachtungen in der Arztpraxis scheiden sich die Geister. Was Kritiker noch stört: Bislang behielt die KBV Daten darüber für sich. Doch damit ist jetzt Schluss, urteilen Richter.

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Anwendungsbeobachtungen bei Arzneimittel: Hin und wieder gibt es dafür Geld.

Anwendungsbeobachtungen bei Arzneimittel: Hin und wieder gibt es dafür Geld.

© Patrick Pleul / dpa

BERLIN (af). Die Daten der Anwendungsbeobachtungen von Arzneimitteln in Arztpraxen werden öffentlich. Dies sieht ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes vor.

Das Gericht hat der "Ärzte Zeitung" am Montag bestätigt, dass Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband die ihnen vorliegenden Zahlen und Fakten der Anwendungsbeobachtungen durch niedergelassene Ärzte in absehbarer Zeit veröffentlichen sollen.

Noch liegen das Urteil und seine Begründung nicht schriftlich vor. Geklagt hatte Transparency International. Die Antikorruptionsorganisation berief sich auf das Gesetz zur Informationsfreiheit.

Das Gericht hat nun entschieden, dass über den Inhalt der Verträge, die Höhe der Honorare, die Zahl der teilnehmenden Ärzte, die Pharmaunternehmen und die Medikamente informiert werden müsse.

Derzeit lägen Daten mehrerer hundert Anwendungsbeobachtungen aus den drei Jahren zwischen 2008 und 2010 vor, sagte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl der "Ärzte Zeitung".

Hürde Datenschutz

Bislang hätten die Daten auch auf Anfrage nicht veröffentlicht werden können. "Wir konnten die Einsprüche von Unternehmen nicht ignorieren", sagte Stahl. Es sei gut, dass aller Voraussicht nach nun Rechtsklarheit herrsche.

Anwendungsbeobachtungen aus Marketinggründen habe die KBV seit jeher abgelehnt und hohe Ansprüche an die Planungs-, Durchführungs- und Berichtsqualität gelegt.

Transparency International sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass es sich bei diesen Daten nicht um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handele.

"Uns geht es darum, das Ausmaß der Anwendungsbeobachtungen erkennbar und erklärbar zu machen", sagte Dieter Hüsgen von Transparency International der "Ärzte Zeitung".

Deshalb habe seine Organisation auch nicht darauf bestanden, die Namen teilnehmender Ärzte zu erfahren. Wo aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Akteneinsicht gewährt werden könne, werde sich Transparency International auf die Angaben der KBV beschränken.

Im Vorfeld der Klage hatte die Organisation verbreitet, dass die Anwendungsbeobachtungen die gesetzlichen Krankenkassen mit bis zu einer Milliarde Euro belasteten.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 05.06.201221:23 Uhr

Kopfschütteln ?

Vermisst wird die Stimme von Transparency International Deutschland (TI), wenn große Konzerne als Folge von Globalisierung, Billiglohn-Konkurrenz und intransparenter Gegenfinanzierung scheitern. Wenn Eigentümer und Manager nach dubiosen Geschäftspraktiken, flankiert von Insolvenzverwaltern zigtausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern „freisetzen“, ist TI so gut wie nie zur Stelle, um sich gegen Massenentlassungen Gehör zu verschaffen.

Aber geht es um Ärzte, um Pharmaindustrie und Krankenversicherungen, gibt es den reflexionsfreien, gedankenlosen, globalen Anti-Korruptions-Rundumschlag. Gleich ob es um wirksame Medikamente, an Schmerzen und Krankheiten leidende Patienten, professionell engagierte Vertrags- oder Klinikärzte, um Gesetzliche (GKV) und Private (PKV) Krankenversicherungen, Krankenhäuser, Logistik bzw. Dienstleistungen in der Medizin geht. Alle haben laut TI ausnahmslos „Dreck am Stecken“. Quelle:
http://www.transparency.de/fileadmin/pdfs/Themen/Gesundheitswesen/Positionspapier_Anwendungsbeobachtungen_10-11-03.pdf

Die TI-Forderung nach einem „gesetzlichen Verbot von Anwendungsbeobachtungen (AWB) und damit legislativer Änderung des bestehenden Arzneimittelgesetzes (AMG) ist ein Musterbeispiel für die Vorgehensweise.
1. AWB seien „legalisierte Korruption“ wird behauptet. Als (hypothetische) Feststellung sagt TI, es „sind Arzneimittelverordnungen im Interesse Dritter“. Der therapeutisch sinnvolle Ansatz von objektivierter Dosis-Wirkungs-Beziehung wird geleugnet.
2. AWB „gewährleisten keinen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn“ wird entgegen jeder Versorgungs- und Feldforschung behauptet. Denn die meist klinischen Studien bilden Versorgungsrealität in der Arzt-Patienten-Interaktion nicht ab.
3. „Nutzen und Risiken von Arzneimitteln sind eine Gefahr für Patientinnen und Patienten“ und belasten „mit nutzlosen Arzneimittelkosten in Milliardenhöhe“. TI unterstellt, dass nach AMG und dem Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit und Medizinalprodukte (BfArM) in Deutschland ausschließlich unsinnige, gefährliche und nicht bestimmungsgemäß verwendete Medikamente in ärztlicher Verordnung stehen.
4. TI versteigt sich in, „AWBs sind als ethisch und rechtlich bedenkliches Handeln ärztlicher Gewährsträger zu verurteilen“ und stellt damit alle Ärztinnen und Ärzte unter Generalverdacht.
5. Nach der 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) vom 6. 9. 2005 und unter der AWB-Anzeigepflicht nach § 67 Abs. 6 AMG ist nach wie vor die zutreffende BfArM-Einschätzung, Anwendungsbeobachtungen als nicht-interventionelle Prüfung“ nach § 4 Abs. 23 Satz 3 AMG zu betrachten.
6. In klinischen Studienzentren nach internationalen Standards, wissenschaftlichen und ethischen Regeln durchgeführte, aufwändige Arzneimittelstudien von Phase-I bis IV werden risikostratifiziert, randomisiert, doppelblind und multizentrisch angelegt. Dadurch belegte Wirksamkeit, Sicherheit und Therapieüberlegenheit bzw. Nichtunterlegenheit bewirken nachweisgestützte Zulassungen durch eigenständige, nationale und europäische Aufsichtsbehörden.

Damit soll keineswegs bestritten werden, dass in a l l e n sozialen, medialen, ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Bereichen Unlauterkeit, Geltungsdrang, Lüge, Verrat, Korruption, Bestechlichkeit, Intransparenz, Seilschaften und manchmal schlichte Geldgier vorkommen. Aber in Deutschland kann jeder die Gerichtsbarkeit anrufen. Mit Meinungs-, Gestaltungsfreiheit und politischer Willensbildung die Legislative beeinflussen.

Es ist jedoch unlauter, als selbstherrlicher und selbsternannter Wächter über fehlende Transparenz, Moral und Ethik so lange den Kopf zu schütteln, wie Transparency International es tut, bis endlich ein heißersehntes Haar in der Suppe gefunden wird.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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