Gesundheit im Gewand der Gerechtigkeit

Solidarität und Gerechtigkeit - das sind die Zauberworte, mit der die SPD ihre traditionellen Werte wiederbelebt. Sie sind zugleich das Gewand, in dem die Bürgerversicherung daherkommt, um beim Wähler zu punkten. Was ist dran am SPD-Konzept?

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit zur ... Bürgerversicherung.

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit zur ... Bürgerversicherung.

© Joseph Helfenberger / fotolia.com

BERLIN. "Wir beenden die Zwei-Klassen-Medizin. Wir schaffen ein Versicherungs- und Versorgungssystem für alle Bürger... Wir stellen die Solidarität im Krankenversicherungssystem wieder her und sorgen für mehr Gerechtigkeit bei den Beiträgen."

So hat der SPD-Parteitag die Ziele einer Gesundheitsreform für die nächste Legislaturperiode beschrieben, deren Kernstück die Weiterentwicklung der Pläne für eine Bürgerversicherung sind.

Ärzte sind davon hoch betroffen: als Leistungserbringer, als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, schließlich auch als Versicherter, ob privat oder gesetzlich.

Vor die Therapie haben auch die Sozialdemokraten die Diagnose gestellt und konstatieren: Die paritätische Finanzierung im Gesundheitswesen ist (mit Zustimmung der SPD) seit 2004 nicht mehr existent; die Koexistenz von GKV und PKV entsolidarisiert auf der Finanzierungs- wie auf der Leistungsseite; bei sinkender Lohnquote am Volkseinkommen (Rückgang 72,5 Prozent 2002 auf 64,2 Prozent im Jahr 2008) erodiert die Finanzierungsbasis der GKV.

Kernstücke der SPD-Reform werden sein:

Eine einheitliche Honorarordnung für die Ärzte: Die unterschiedliche Vergütung der ambulanten Versorgung von gesetzlich und privat Versicherten ist nach Auffassung der SPD die Hauptursache der Zwei-Klassen-Medizin. Deshalb soll zusammen mit der Bürgerversicherung auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin eine einheitliche Honorarordnung eingeführt werden.

Für Ärzte soll es gerechter zugehen, unsinnige und schädliche Anreize wie die verstärkte Niederlassung in Regionen mit hohen Privatversicherten-Anteilen sollen entfallen. Die neue Gebührenordnung soll auch für PKV-Bestandsversicherte gelten. Damit, so hofft die SPD, entfalle jeglicher Diskriminierungsgrund für Kassenpatienten.

Am Konzept der Bürgerversicherung wurde noch einmal gefeilt. Zumindest wurde der verfassungsrechtlich bedeutsame Bestandsschutz der gegenwärtig privat Versicherten voll berücksichtigt.

Mitgliedschaft in der Bürgerversicherung: Zum Stichtag der Einführung der Bürgerversicherung werden alle neu zu versichernden Bürger darin Mitglied. Es bleibt bei der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder und Ehepartner. Alle Krankenkassen unterliegen einem Kontrahierungszwang. Die Beiträge sind alters- und risikounabhängig.

Wahlrecht für PKV-Versicherte: Diese können in ihrer privaten Krankenversicherung bleiben, haben aber für ein Jahr nach Einführung der Bürgerversicherung die Option, in die gesetzliche Krankenversicherung zu wechseln. Dies ist alters- und risikounabhängig. Aufgebaute Alterungsrückstellungen sollen beim Wechsel mitgegeben werden.

Bürgerversicherung für Selbstständige: Rund ein Drittel der Selbstständigen verdient im prekären Bereich von weniger als 1100 Euro im Monat. In der PKV versicherte Selbstständige können derzeit in der Regel nicht in die GKV zurückkehren; außerdem ist in der GKV die Mindestbeitragsbemessung für Selbstständige so hoch, dass die Beiträge kaum zu tragen sind.

Die SPD will daher Selbstständigen eine Wechseloption in die Bürgerversicherung eröffnen: Dabei wird die Mindestbeitragsbemessung auf das Niveau oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 400,01 Euro gesenkt.

Bürgerversicherung für Beamte: Neu verbeamtete Staatsbedienstete werden automatisch in die Bürgerversicherung aufgenommen. Bestandsbeamte erhalten eine Wechseloption.

Paritätische Finanzierung: Zusatzbeiträge und Sonderbeitragssatz (0,9 Prozent) werden abgeschafft. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen in der Summe bei globaler Betrachtung des Gesamtsystems das gleiche in die Bürgerversicherung ein. Die Finanzierung besteht aus drei Säulen:

Der Bürgerbeitrag: Er wird als Prozentsatz auf Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich erhoben; die Beitragsbemessungsgrenze bleibt. Die Kassen setzen den Beitragssatz selbst fest. Einkünfte aus Vermietung und Kapitalvermögen werden wegen des Erhebungsaufwandes nicht verbeitragt.

Der Arbeitgeberbeitrag: Er soll in der Summe genauso hoch sein wie die Summe aller Bürgerbeiträge. Der Arbeitgeberbeitrag soll als Prozentsatz auf die gesamte Lohnsumme gezahlt werden; hier gilt die Beitragsbemessungsgrenze also nicht.

Damit werden auch höchste Einkommen und Boni vom Arbeitgeberbeitrag erfasst. Eine zusätzliche Belastung erwartet die SPD für Branchen wie Energie, Banken und Versicherungen, bei denen die Durchschnittseinkommen bei rund 60.000 Euro jährlich liegen.

Dritte Säule dynamisierter Steuerbeitrag: Den gegenwärtigen Steuerzuschuss an die GKV will die SPD jährlich dynamisieren. Vorbild dafür soll das in der Rentenversicherung angewandte Verfahren sein. Der wachsende Steuerzuschuss soll aus einer erhöhten Abgeltungsteuer finanziert werden - dies wäre der Solidarbeitrag der Kapitalisten zur Bürgerversicherung.

Lesen Sie dazu auch den Standpunkt: Wirklich solidarisch?

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