Arzneimittelpolitik

Gesundheitsministerium zur EU-Abwasserrichtlinie: „Kein Kommentar“

Das Bundesgesundheitsministerium hat drohende Arzneimittel-Ausfälle infolge der neuen EU-Abwasserrichtlinie auf dem Schirm. Zuständig für deren Umsetzung sei aber das Umweltministerium.

Veröffentlicht:
Sauberes Trinkwasser erfordert einigen Aufwand. Der soll jetzt noch weiter steigen, indem größere Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgerüstet werden.

Sauberes Trinkwasser erfordert einigen Aufwand. Der soll jetzt noch weiter steigen, indem größere Kläranlagen mit einer 4. Reinigungsstufe ausgerüstet werden.

© [M] Werner / stock.adobe.com

Berlin. Erstmals hat sich jetzt auch das Bundesgesundheitsministerium zur kommunalen Abwasserrichtlinie der EU (KARL) und den daraus drohenden Konsequenzen für die Versorgung mit generischen Arzneimitteln geäußert. Obwohl nur spärlich: Im Nachgang zur Pressekonferenz der Regierung am Montag, teilte das BMG heute mit, „dass wir diesen laufenden Prozess nicht weiter kommentieren“. Innerhalb der Bundesregierung sei das Umweltministerium federführend für die Umsetzung der Richtlinie.

Zum Sachstand referiert das Ministerium, „Polen sowie eine Reihe von Unternehmen und Unternehmensverbänden“ hätten inzwischen Klagen beim Gerichtshof der EU gegen die erweiterte Herstellerverantwortung eingereicht, wonach Pharma- und Kosmetikunternehmen „zu mindestens 80 Prozent“ die Bau- und Betriebskosten einer 4. Reinigungsstufe in größeren Kläranlagen tragen sollen, mit denen sich Mikroverunreinigungen ausfiltern lassen. „Entscheidungen stehen noch aus“, heißt es weiter.

Kommission soll nochmals prüfen

Anfang Mai hatte bereits das EU-Parlament in einer Entschließung zur Europäischen Wasserresilienzstrategie an die Kommission appelliert, „eine neue und umfassende Bewertung der Auswirkungen (der kommunalen Abwasserrichtlinie – red.) auf die Arzneimittelbranche vorzunehmen“ (Randnummer 52). Was die Kommission inzwischen auch zugesagt hat.

Deutschland hatte den BMG-Ausführungen zufolge bereits bei seiner Zustimmung zu KARL im November vorigen Jahres in einer Protokollerklärung „Bedenken hinsichtlich der Versorgung mit generischen Arzneimitteln und möglicherweise entstehender Mehrbelastungen der Krankenkassen“ angemeldet.

Schon damals habe man die Kommission „aufgefordert, bei sich abzeichnenden negativen Auswirkungen, insbesondere Lieferengpässen und Marktaustritten versorgungskritischer Arzneimittel sowie bei relevanten Mehrbelastungen der Krankenkassen infolge der Richtlinie zeitnah Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen“.

Worst-Case-Szenario Metformin

Pharmaverbände haben in den vergangenen Wochen wiederholt vor Marktaustritten generischer Produkte gewarnt und Nachbesserungen an der Richtlinie, vor allem aber eine faire Lastenverteilung gefordert. Die Industrie befürchtet jährliche Mehrkosten in Milliardenhöhe. Das Geschäft mit patentfreien Medikamenten könnte sich dann vielfach nicht mehr rentieren.

Breitere mediale Resonanz erfuhr diese Warnung zuletzt durch drastische Veranschaulichung am Beispiel Metformin. ProGenerika hatte darauf hingewiesen, dass die hiesige Marktversorgung mit dem in der Diabetestherapie essenziellen Wirkstoff größtenteils von dem tschechischen Anbieter Zentiva besorgt wird.

Und der habe schon angekündigt, bei unveränderter Umsetzung der Abwasserrichtlinie sein Metformin „vom Markt (zu) nehmen“. Dann müssten, so ProGenerika wörtlich, „fast drei Millionen Patient:innen auf deutlich teurere Alternativen umsteigen, die GKV wäre mit bis zu 1,5 Milliarden Euro Mehrkosten jährlich konfrontiert“.

DEGAM fordert Interessenausgleich

Die Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) sieht in diesem Worst-Case-Szenario zugleich das Ende einer leitliniengerechten Diabetikerversorgung. Sei Metformin nicht mehr zu bekommen, werde sich „die Qualität der medizinischen Versorgung verschlechtern. Die Nebenwirkungen können stärker ausfallen, auch die Therapietreue wird sinken, wenn nur noch Medikamente, die gespritzt werden müssen, verfügbar sind“, so Präsidiumsmitglied Dr. Günther Egidi.

Die DEGAM, heißt es in der Mitteilung weiter, setze sich für einen Ausgleich der beiden Geltungsansprüche Gewässerschutz und auskömmlichen Wirkstoffvertrieb ein. Verbandspräsident Prof. Martin Scherer: „Wir brauchen eine Gesundheitspolitik, die gewährleistet, dass solche wichtigen Arzneimittel verfügbar bleiben – und zwar ohne dass Regelungen zum Umwelt- und Gewässerschutz in toto wieder gekippt werden.“ (cw)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Befragung in 22 Ländern

STADA-Report: Anteil der Vorsorge-Muffel ist gestiegen

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Eine Sanduhr, durch die Geldstücke fall

© fotomek / stock.adobe.com

Tag der Privatmedizin 2024

Outsourcing: Mehr Zeit für Patienten!

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Buch mit sieben Siegeln oder edles Werk? KI-Idee einer in Leder eingebundenen neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

© KI-generiert mit ChatGPT 4o

Exklusiv Entwurf unter der Lupe

Das brächte Ihnen die neue GOÄ

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
In Deutschland gibt es immer weniger klinische Forschung. Was Deutschland hingegen zu leisten imstande ist, zeigte sich zuletzt bei der COVID-19-Pandemie: mRNA-basierte Impfstoffe wurden schnell entwickelt und produziert.

© metamorworks / stock.adobe.com

Handlungsempfehlungen

Deutschland-Tempo statt Bürokratie-Trägheit

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Alexandra Bishop ist Geschäftsführerin von AstraZeneca Deutschland.

© AstraZeneca

Pharmastandort Deutschland

Deutlich mehr wäre möglich

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
„Forschung ist Teil unserer DNA“ – Onkologische Erkrankungen und Virusinfektionen im Fokus

© Edward Carreon

Unternehmensporträt

„Forschung ist Teil unserer DNA“ – Onkologische Erkrankungen und Virusinfektionen im Fokus

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Gegen unerwartete Gesprächssituationen gewappnet

Tipps für MFA: Schlagfertigkeit im Praxisalltag

Lesetipps
Zu hohe Drehzahl: Hochtouriges Fahren überhitzt bekanntlich den Motor und beschleunigt den Reifenabrieb. Genauso kann zu viel L-Thyroxin, speziell bei Älteren, nicht nur Herz und Kreislauf überlasten, sondern auch die Knochen schwächen.

© Michaela Illian

Überbehandlung mit Folgen

Schilddrüsenhormone: Zu viel L-Thyroxin bringt Knochen in Gefahr

HSK im Fokus: Der Hauptstadtkongress 2024 findet von 26. bis 28. Juni in Berlin statt.

© Rolf Schulten

Themenseite

Hauptstadtkongress: Unsere Berichte im Überblick

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung