Familiäres Darmkrebsrisiko

IQWiG konterkariert die Bemühungen der Ärzte

Das IQWiG urteilt zum Nutzen einer Früherkennungsuntersuchung für Personen unter 55 Jahren mit familiärem Darmkrebsrisiko: Für eine Bewertung fehlten geeignete Studien. Was also sollen Ärzte ihren betroffenen Patienten empfehlen?

Von Professor Jürgen F. Riemann Veröffentlicht:
Kolorektales Karzinom: Ärzte setzen sich für eine risikoadaptierte Früherkennung ein.

Kolorektales Karzinom: Ärzte setzen sich für eine risikoadaptierte Früherkennung ein.

© Gärtner / fotolia.com

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG hat in einer Nutzenbewertung der Früherkennungsuntersuchung für Personen unter 55 Jahren mit familiärem Darmkrebsrisiko dem Gemeinsamen Bundesauschuss GBA einen Bericht vorgelegt, der einmal mehr den Kopf schütteln lässt.

In dem Bericht wird zwar festgestellt, dass Personen mit mindestens einem Fall bei Verwandten ersten Grades ein bis zu 4,1-fach erhöhtes Darmkrebs-Risiko haben können. Da aber aussagekräftige Studien zum Thema fehlten, sei der Nutzen unklar.

In der Presse wurde daraus der Schluss gezogen, dass Experten den Nutzen einer risikoadaptierten Darmkrebsfrüherkennung bezweifeln.

So ist das, wenn man sich nur auf hochwertige Daten konzentriert, nur Evidenz-basierte Studien für klare Aussagen akzeptiert und trotz vielfältiger Erfahrungen anderer und der eigenen Feststellung, dass ein Risiko besteht, dennoch den Nutzen bezweifelt.

Das ist der Unterschied zwischen Statistikern als reinen Theoretikern und Ärzten vor Ort, die ihre Patienten behandeln und ihnen Auskunft geben sollen.

Kann man wirklich einem Betroffenen sagen, dass der Nutzen einer Vorsorge für ihn bei seinem familiären Risiko nicht belegt sei? Wozu soll der informierte Arzt raten? Er wird hoffentlich eine Vorsorgemaßnahme empfehlen, und zwar leitliniengerecht die Darmspiegelung!

Es ist sicher richtig und wichtig, dass sich die medizinische Versorgung auf Daten und Fakten stützen soll; daher sind prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien auch eine notwendige und unabdingbare Voraussetzung vor allem für häufige Diagnose- und Therapiemaßnahmen.

Nicht selten hat aber später die konsekutive Versorgungsforschung ergeben, dass die Einschlusskriterien für solche Studien viele Risiken unberücksichtigt gelassen haben und damit nicht der Versorgungsrealität entsprachen. Die Kardiologen haben das schon leidvoll erfahren müssen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.09.201311:09 Uhr

Wer kontrolliert und validiert eigentlich das IQWiG?

Auch bei der Bewertung der Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) s e l b s t sollte man sich nur auf hochwertige Daten konzentrieren und ausschließlich Evidenz-basierte Studien für klare Aussagen akzeptieren. Nach meinem Wissen gibt es aber weltweit keine einzige ernsthafte Studie, die das IQWiG einer eingehenden Nutzenbewertung unterzieht. Aussagefähige multizentrische Metaanalysen über Effektivität, Effizienz und Sinnhaftigkeit vergleichbarer Qualitätssicherungen durch das NICE in Großbritannien und die FDA in den USA fehlen ebenfalls.

Doch wenn die gesamte medizinische Versorgung sich auf Daten und Fakten stützen soll; wenn prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien eine notwendigerweise unabdingbare Voraussetzung vor allem für häufige Diagnose- und Therapiemaßnahmen sein sollen, wie ist dann nicht nur mit dem IQWiG, sondern auch mit unseren klinischen Ausnahmefällen und Verläufen, den seltenen Krankheits-Ereignissen und den "orphan diseases" umzugehen?

Da können beim familiären Darmkrebsrisiko bei Personen mit mindestens einem Fall bei Verwandten ersten Grades bis zu 4,1-fach erhöhte Darmkrebs-Risiken bestehen. Da können, wie in einem Fallbeispiel aus meiner Praxis, ältere Geschwister bereit an Darmkrebs verstorben sein. Und mein Patient hatte bei seiner ersten Koloskopie mit 32 Jahren 2 suspekte Polypen, die im Gesunden abgetragen werden konnten. Bei einer Kontrolle 1 Jahr später fanden sich 49 Dickdarmpolypen mit multiplen Dysplasien, und es wurde eine Kolektomie bei "Familiärer adenomatöse Polyposis" (FAP, Polyposis coli) vorgenommen.

Hätten die Abdominal-Chirurgen da etwa abwarten sollen, bis dem IQWiG aussagekräftige Studien zum Thema untergekommen wären? Bis man Evidenz-basiert und Meta-Analysen-gestützt zur Tat geschritten wäre, wäre mein Patient bereits am multilokulären Kolonkarzinom verstorben!

Nein, nicht nur bei seltenen Erkrankungen ist das IQWiG wissenschafts- und erkenntnistheoretisch auf dem Holzweg. Hat sich verrannt und verirrt in seinem hausgemachten Gestrüpp von z. T. willkürlichen Studien- und Validitäts-Bewertungskriterien. Selektive, interessengeleitete Wahrnehmungen und konstruktivistische Beurteilungen leugnen im klinisch-praktischen Alltag notwendige Entscheidungsfindungen zur Verbesserung von Adhärenz, Compliance, Lebensqualität, Intervention und Outcome. Wo krankheits- und systemimmanent k e i n e ausreichende Studien- und Erkenntnislage bestehen kann, hat sich das IQWiG wegen fehlender Sensitivität und Spezifität zurückzuhalten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Rudolf Hege 06.09.201315:24 Uhr

Die Geister, die ich rief...

Jahrelang mussten sich die Anwender der Erfahrungsheilkunde anhören, ihre Methoden seien nicht durch "gute Studien" ausreichend belegt. Inzwischen kommen selbst Anhänger der EBM ins Grübeln. Immerhin sind rund 50% aller etablieren medizinischen Verfahren auch nicht - nach EBM-Kriterien - validiert.

Und immer häufiger zeigt sich, dass Methoden letztlich mit rein finanziellen Interessen stehen und fallen. Wer keinen finanzstarken Sponsor findet, der bereit ist, "gute Studien" zu finanzieren, weil er sich davon einen Nutzen verspricht, der schaut in die Röhre. So wird das wirtschaftliche Interesse letztlich zum Prüfstein - und nicht der Nutzen für die Patienten.

Ist das der Sinn der EBM?

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