Kostentreiber Fortschritt

Spurensuche in der Politik: Auf Bitten der SPD hat die Bundesregierung nachgesehen, was die Medizin teuer macht. Resultat: Die Alten waren es nicht, der Fortschritt hat die Gesundheitskosten getrieben. Aber das Blatt wendet sich.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Fortschritt kostet: die Ionen-Strahlenanlage in Heidelberg.

Fortschritt kostet: die Ionen-Strahlenanlage in Heidelberg.

© Ronald Wittek / dpa

BERLIN. Was macht die Gesundheit teurer? Der medizinische Fortschritt oder die Alterung der Gesellschaft? Die Regierung gibt darauf nun eine Antwort.

Der medizinisch-technische Fortschritt sei bislang der Hauptkostentreiber im Gesundheitswesen, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion.

In welchem Umfang sich Prävention kostendämpfend auswirkt, ist dagegen unklar.

Die SPD-Abgeordneten trieb die Sorge an, Zusatzbeiträge und Leistungskürzungen könnten ein "stereotypes negatives Altersbild" in der Gesellschaft erzeugen.

Schließlich hinterließen Regierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen immer wieder den Eindruck, Einschnitte und Belastungen seien der alternden Bevölkerung geschuldet.

Klinikausgaben vorn

Damit räumt die Antwort der Bundesregierung auf. Zwischen 27 und 48 Prozent des gesamten Ausgabenanstiegs seit 1960 gingen auf den medizinisch-technischen Fortschritt zurück.

Der Anteil, der auf die demografische Entwicklung entfällt, wird dagegen für "gering" erachtet. Die OECD gebe ihn mit rund zehn Prozent an.

Prävention: Für die GKV fast kein Thema

2002 2011 Anstieg in %
Insgesamt 134,3 Mrd. 168,7 Mrd. 25,52
Krankenhaus 45,7 Mrd. 59,95 Mrd. 30,92
Arzneimittel 22,66 Mrd. 28,98 Mrd. 27,91
Ambulant (Ärzte) 22,80 Mrd. 27,91 Mrd. 21,15
Häusl. Krankenpflege 1,68 Mrd. 3,52 Mrd. 109,97
Primärprävention 0,12 Mrd. 0,31 Mrd. 153,61
Quelle: BMG, Tabelle: Ärzte Zeitung

Das erklärt die Unterschiede zwischen den Kostenblöcken zum Teil. Die Ausgaben für die Behandlungen im Krankenhaus und für Arzneimittel entwickelten sich in den vergangenen zehn Jahren dynamischer als die für die niedergelassenen Ärzte (siehe Tabelle). In Kliniken steht mehr technisches Gerät als in den Praxen.

Die Einführung neuer Medikamente, zum Beispiel zur Behandlung von Krebs, schiebt die Arzneimittelkosten mit an.

Eine differenzierte Analyse demografischer Einflussfaktoren auf die Kosten des Gesundheitswesens steht noch aus. Es gebe schlicht keine Datenquellen, heißt es in der Regierungsantwort.

Patienten genesen schneller

Hinweise darauf, dass die Alterung mehr Gewicht in der Gesamtkostenrechnung des Gesundheitswesens erhalten werde, kämen aus den Krankenhäusern, die immer mehr und immer ältere Patienten behandelten.

Auch die heute schon steigenden Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel seien ein Indiz dafür, dass die demografische Entwicklung hier künftig zu Ausgabensteigerungen beitrage.

Dass immer mehr Menschen, nicht zuletzt wegen des medizinisch-technischen Fortschritts immer älter werden, speist wiederum die kontroverse Debatte, wie viele gesunde Jahre er einbringt.

Die Bundesregierung steht auf der Seite der Optimisten: Der Anteil der gesunden Lebensjahre an der Gesamtlebenszeit scheine stabil, die Rekonvaleszenz werde beschleunigt, was positive wirtschaftliche Effekte auslöse. Aussagekräftige Daten dazu gebe es allerdings nicht.

In knapp 50 Jahren werde bereits jeder Dritte Bewohner 65 Jahre und älter sein, haben Fachleute hochgerechnet. GKV-Ausgabenpositionen wie zum Beispiel die häusliche Pflege dürften sich dann in anderen Dimensionen bewegen als heute.

Daten fehlen

Um Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder hinauszuschieben, plant die schwarz-gelbe Koalition mehr Präventionsangebote auch für ältere Menschen anzustoßen.

In den vergangenen zehn Jahren haben die Ausgaben für die Primärprävention insgesamt zwar um mehr als 150 Prozent zugelegt. Was diese Ausgaben bringen können, ist unbekannt.

Noch mussten sich die Präventionsinitiativen der Vergangenheit von "Trimm Dich fit" bis "Gib Aids keine Chance" keinen Kosten-Nutzen-Analysen stellen.

Es fehle das "adäquate wissenschaftlich-methodische Instrumentarium zur Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen", schreibt die Regierung den SPD-Abgeordneten.

Bei der Forschungsförderung wolle sie deshalb verstärkt auf ökonomische Analysen von Prävention und Rehabilitation setzen.

Tatsächlich nutzen heute schon deutlich mehr ältere Menschen die Vorsorgeangebote als jüngere Versicherte - von der Grippeimpfung bis zur Krebsvorsorge. Auch die Rehakliniken verzeichnen immer stärkeren Zulauf aus der Generation 65 plus.

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