Gremien skeptisch

Kritik an geplanter Reform der Ethikkommissionen in Baden-Württemberg

Bevor Mediziner mit Forschung an Menschen oder mit Bioproben beginnen können, muss mindestens eine Ethikkommission zustimmen. Hier wird in Baden-Württemberg eine Verschlankung geprüft. Widerstand kommt von den sechs Gremien im Land.

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Stuttgart/Freiburg. Die Ethikkommissionen in Baden-Württemberg sehen Vorschläge zu einem solchen medizinischen Gremium mit landesweiter Zuständigkeit skeptisch. Sie rechnen eher mit bürokratischen Hürden, mehr Aufwand und längeren Prüfvorgängen, wie mehrere von ihnen der Deutschen Presse-Agentur mitteilten.

Derzeit gibt es im Südwesten je eine Ethikkommission an den Uniklinik-Standorten in Ulm, Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Tübingen sowie eine bei der Landesärztekammer. Sie prüfen unter anderem, ob Forschungsvorhaben mit Menschen oder menschlichem Biomaterial wie Gewebe aus rechtlicher und ethischer Sicht gemacht werden dürfen.

Kritik von Medizinern sowie auch aus der Wirtschaft gibt es unter anderem daran, dass bei Studien, die an mehreren Orten ausgeführt werden sollen, unterschiedliche Kommissionen schon mal zu verschiedenen Ergebnissen kommen.

Ein Gremium zahlreicher Fachleute, das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg, hatte im vergangenen Dezember eine umfassende Translationsstrategie beschlossen. Mit ihr wird das Ziel verfolgt, medizinische Forschungsergebnisse schneller in die Versorgung zu bringen.

Ein Element dieser Strategie ist der Vorschlag, die bisher sechs Ethikkommissionen zu „harmonisieren“. Ergebnisoffen „geprüft“ werde daher der Vorschlag einer Kommission mit „übergreifender landesweiter Zuständigkeit“, so das Wissenschaftsministerium.

Kommissionen für Industrie-unabhängige Forschungsprojekte „lebenswichtig“

Erst infolge der Anfrage der dpa hätten die Kommissionen davon gehört, teilte der Vorsitzende in Freiburg, Professor Rudolf Korinthenberg, mit. Die Pläne erschienen ihm kontraproduktiv und als Gefahr für den Bestand gerade der universitären Kommissionen, „deren ungehinderte Arbeit für die Industrie-unabhängigen Forschungsprojekte an den Hochschulen lebenswichtig ist“. Zudem seien sich alle Kommissionen in Baden-Württemberg darin einig, „dass es nicht ihre Aufgabe ist, Forschung zu erschweren, sondern diese zu ermöglichen und zu verbessern“.

Aus der Tübinger Ethikkommission hieß es, eine übergreifend zuständige Ethikkommission könnte allenfalls bei Studien, die der Beratung nach der Berufsordnung der Ärztekammer unterliegen und ausschließlich in Baden-Württemberg gemacht werden, von Vorteil sein. „Dies würde durch eine Zunahme des bürokratischen Aufwands erkauft, zumal eine deutliche Beschleunigung des Verfahrens zu bezweifeln ist, da die Ethikkommissionen in Baden-Württemberg bereits jetzt eng miteinander kooperieren.“

Auch das Heidelberger Gremium hält eine Landes-Ethikkommission weder für erforderlich noch für zielführend. Die Kolleginnen und Kollegen aus Ulm sehen darin gar „eine erhebliche Schwächung der institutionellen Unabhängigkeit der Ethikkommission und Gefährdung des Patientenschutzes“, wie es in einer Rückmeldung hieß.

Lauterbach erwägt ähnlichen Schritt im Medizinforschungsgesetz

Die Ethikkommission der Landesärztekammer gab zu bedenken, „dass die bislang zielgerichtete, zügige sowie ungehinderte Arbeit für die Ärzteschaft und die Forschungslandschaft in Baden-Württemberg mit einer landesweit übergreifenden Ethikkommission infrage gestellt wäre“. Indirekt könnte mittel- bis langfristig auch die Behandlung von Erkrankten betroffen sein, etwa im Rahmen von Arzneimittelstudien.

Weiter verwies sie darauf, dass ab 2025 nach Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine zentrale Bundesethikkommission für bestimmte Typen klinischer Studien zuständig sein soll. Der Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen in Deutschland stehe den Regierungsplänen sehr kritisch gegenüber und habe vor zusätzlicher Bürokratie und einer Gefährdung der Unabhängigkeit der Ethikkommissionen gewarnt. (dpa/fst)

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