Jubiläum Alzheimer Gesellschaft NRW

Laumann: Selbstverwaltung und Politik müssen sich bewegen

Um Pflegebedürftige auch künftig versorgen zu können, müssen die Bedingungen flexibler werden, findet Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Die Selbsthilfe spielt für ihn eine zentrale Rolle.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Ohne osteuropäische Pflegekräfte wäre das System schon längst am Ende: Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen (CDU). (Archivbild)

Ohne osteuropäische Pflegekräfte wäre das System schon längst am Ende: Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen (CDU). (Archivbild)

© Rolf Vennenbernd/dpa

Düsseldorf. Angesichts der demografischen Entwicklung und des großen Personalbedarfs in der Pflege muss das System flexibler werden, findet der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Wir werden einen ganz anderen Personalmix durchsetzen müssen“, sagte er auf der Feier zum 20-jährigen Bestehen des Landesverbands Alzheimer Gesellschaften Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

„Da muss sich die Selbstverwaltung bewegen, die die Standards für die Pflege festlegt“, forderte er. Es gehe darum, möglichst viele Menschen zu gewinnen, die Pflegebedürftige unterstützen und Angehörige entlasten können.

In der Corona-Pandemie habe sich die Regelung bewährt, dass in der häuslichen Krankenpflege auch Assistenzkräfte eingesetzt werden können. Er habe die Krankenkassen darum gebeten, das auch für die Zukunft zu ermöglichen. Bewegt habe sich nichts. „Das kotzt mich an“, regte Laumann sich auf. „Es gibt immer 1.000 Gründe, warum etwas nicht passiert.“

Entweder zu viel Regulierung oder gar keine

Der ehemalige Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung nahm auch die Politik in die Pflicht. Zurzeit sei das offizielle Pflege-System durchreguliert, der Staat schaue genau auf alles. Anders sehe es aus bei der großen Zahl an osteuropäischen Pflegekräften, die privat eingesetzt werden. Dort gucke der Staat bewusst weg. Der Grund: „Ohne sie wäre das offizielle System schon am Ende.“ Wünschenswert wäre nach Meinung von Laumann auf der einen Seite ein bisschen weniger Regulierung und auf der anderen Seite ein wenig mehr.

Klar ist für ihn, dass die Versorgung von Pflegebedürftigen ohne zivilgesellschaftliches Engagement nicht sicherzustellen ist. Er verwies auf die wichtige Rolle der Selbsthilfegruppen und von Organisationen wie den Alzheimer Gesellschaften und ihren wichtigen Beitrag zum offenen Umgang mit Demenz. „Das hätten wir als Staat ohne die Zivilgesellschaft und ohne Verbände wie die Alzheimer Gesellschaften nicht leisten können.“

Bei der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 habe das Thema Demenz keine Rolle gespielt, sagte Laumann. Das sei nicht aus Ignoranz passiert, sondern weil klar war, dass die Pflegeversicherung sonst viel teurer geworden wäre. Erst 2016 habe sich das mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs geändert. „Das haben wir der Alzheimer-Gesellschaft, den Selbsthilfegruppen und den Pflegewissenschaftlern zu verdanken“, so der Minister.

„Das Pflege-Unterstützungsgesetz war leider eine Riesen-Enttäuschung“

Es sei in den vergangenen Jahren gelungen, die Menschen mit Demenz in die Mitte der Gesellschaft zu holen, sagte Dr. Peter Pick, der Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft NRW. Aber es gebe noch viel zu tun, insbesondere bei der Unterstützung der Angehörigen. „Wir denken an ein echtes Entlastungsbudget, eine ordentliche Anpassung des Pflegegeldes und ein staatliches Pflegegeld zur Vereinbarkeit von Pflege und Berufstätigkeit, ähnlich dem Elterngeld“, erläuterte er. „Das Pflege-Unterstützungsgesetz war leider eine Riesen-Enttäuschung.“

Die Grundlage für alle Unterstützungsmaßnahmen seien psychosoziale Gespräche, berichtete die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Bochum Christel Schulz. Leider gebe es für sie keine Regel-, sondern nur eine Projektfinanzierung. „Wenn dieser Bereich auf Dauer keine Finanzierung findet, bleibt es ein Stückwerk“, warnte sie.

Handlungsbedarf sieht Schulz auch auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte. Sie würden nach wie vor zu wenig auf die Angebote der Alzheimer Gesellschaften und andere ehrenamtliche Unterstützungsmöglichkeiten hinweisen. Zudem würden sie sich zu wenig mit dem Krankheitsbild auskennen, glaubt sie.

Die Ärzteschaft ist nicht untätig

Hier könnte ein Projekt wie „Achtung Demenz“ für Abhilfe sorgen, schlug Angelika Hörter vor, die Leiterin der Geschäftsstelle der Alzheimer Gesellschaft NRW. Das Projekt richtet sich an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Polizei und Feuerwehr. „Wir unterstützen die Berufsgruppen durch Wissensvermittlung und geben Hilfestellung“, erläuterte Hörter. Ein ähnliches Angebot sei auch für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und ihre Mitarbeiterinnen vorstellbar.

Es sei nicht so, dass die Ärzteschaft in diesem Bereich untätig sei, stellte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) Dr. Hans-Albert Gehle klar. Die ÄKWL habe seit Jahren eine Demenzbeauftragte und biete regelmäßig Veranstaltungen zum Thema an, berichtete er. „Wir versuchen viel.“ Offensichtlich müsse aber noch mehr passieren.

Auch Gehle ist überzeugt, dass die Selbsthilfe unverzichtbar ist. „Das System wird immer Lücken haben, diese Lücken müssen wir füllen.“

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