Priorisierung

Neue Debatte ums "kluge Entscheiden"

Die Ärzteschaft wappnet sich für eine neue Debatte über Priorisierung und Rationierung von Gesundheitsdienstleistungen. Im Fokus steht die hausgemachte Überversorgung.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Hausärzte brauchen mehr Expertise im Ausschließen von Krankheiten, Fachärzte benötigen mehr Hinweise auf überflüssige Diagnostik und Therapie, zum Beispiel in Leitlinien.

Mehr Kommunikation und partizipative Entscheidungsfindung kann dem Anspruchsdenken der Patienten etwas entgegensetzen. Diese Kernthesen zur Überversorgung wurden auf einer Tagung der Akademien der Bundesärztekammer am Samstag in Berlin diskutiert.

Überversorgung gilt dem Präsidenten der Ärztekammer Bayerns, Dr. Max Kaplan als Ausdruck des wachsenden forensischen Risikos von Ärzten. "Die Verrechtlichung der Medizin bringt Defensivmedizin mit Überdiagnostik und Übertherapie hervor", sagte Kaplan.

Dass es Überversorgung gibt, ist unter Ärzten nicht umstritten. Einer Umfrage der Universität Duisburg-Essen unter gut 4000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zufolge registrieren mehr als die Hälfte der Befragten mehrmals in der Woche überflüssige Prozeduren.

80 Prozent gaben an, aus Sorge vor Behandlungsfehlern gehandelt haben. Der Druck der Patienten und zusätzliche Erlöse waren weitere Anreize.

"Leitlinien haben Lücken"

"Leitlinien haben trotz aller wissenschaftlichen Evidenz Lücken", sagte der Göttinger Internist Professor Gerd Hasenfuß, der für die DGIM die Empfehlungen der Qualitäts-Initiative "Klug entscheiden" verteidigte.

Leitlinien vollzögen die zunehmende Multimorbidität nicht nach, ergänzte Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes.

73 Prozent der über 65-Jährigen litten an mindestens zwei chronischen Krankheiten, 62 Prozent an dreien, berichtete Professor Jost Steinhäuser von der Universität Schleswig-Holstein. Es gebe klar erkennbare Unterversorgung bei der Schmerzbehandlung und beim Impfen und deutliche Überversorgung bei den Antibiotikagaben.

"Die hausärztliche Versorgung erhöht die Patientensicherheit", sagte Steinhäuser. Nötig sei, Evidenz zum generalistischen Ansatz zu schaffen.

Dafür bedürfe es interdisziplinärer Zusammenarbeit in dauerhaft angelegten, ambulanten Forschungsnetzwerken. Sicherheit lasse sich zudem aus der Auswertung großer Datenmengen gewinnen.

BÄK mit neuer Gremienstruktur

"Nicht alle Ärzte sind Forscher", warnte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery vor zu großen Erwartungen. Die Qualitätszirkel der niedergelassenen Ärzte könnten an dieser Stelle aber Beiträge leisten. Mit der Veranstaltung wollte die BÄK auch für ihre neue Gremienstruktur werben.

Darin sollen die bisherigen Akademien für Allgemeinmedizin und für Gebietsärzte stärker verzahnt werden, betonen BÄK-Vertreter. Dem nächsten Ärztetag soll das Konzept zur Integration der Versorgungsbereiche zur Entscheidung vorgelegt werden.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Sattelfest in Gesundheitsfragen?

Auf Spurensuche: Wie Friedrich Merz gesundheitspolitisch tickt

Das könnte Sie auch interessieren
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

Wie Ärzte in Stresssituationen richtig reagieren können

Lesetipps
Umrisse mehrere Menschen in bunten Farben.

© Pandagolik / stock.adobe.com

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an