Psychisch bedingte Fehlzeiten um 40 Prozent gestiegen

Mit dem Krankenstand ist das so eine Sache: Mal ist von einem Tiefstand die Rede, mal von einer neuen Rekordhöhe. Was sich dagegen nach den jüngsten Zahlen ganz sicher sagen lässt: Psychisch bedingte Fehlzeiten haben deutlich zugenommen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Psychische Erkrankungen wie Depressionen sorgen für immer mehr Krankschreibungen.

Psychische Erkrankungen wie Depressionen sorgen für immer mehr Krankschreibungen.

© Kwest / fotolia.com

BERLIN. Der Krankenstand deutscher Arbeitnehmer ist immer eine Schlagzeile wert. Mal wird ein historischer Tiefstand, dann ein rekordverdächtiger Höchststand gemeldet. Anfang dieser Woche erreichte der Krankenstand wieder den Status "Top-Meldung". Diesmal war vom "höchsten Stand seit fünf Jahren" die Rede. Auslöser waren frische Zahlen aus dem Gesundheitsministerium (BMG). Demnach waren im ersten Halbjahr 2010 insgesamt 3,58 Prozent der Beschäftigten krankgeschrieben. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 3,24 Prozent. Die Fehlzeiten summierten sich auf vier Arbeitstage.

Die Sache hat aber einen Haken: Die BMG-Statistik ist wenig aussagekräftig. Sie gibt lediglich an, wie viele GKV-Mitglieder zu einem bestimmten Stichtag, dem Monatsersten, eine Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit vorgelegt haben. Fällt der erste Tag des Monats auf einen Montag, ist der Krankenstand höher. Fällt er auf einen Feiertag oder das Wochenende, ist der Wert geringer, da Arbeitnehmer dann kaum zum Arzt gehen, um sich krankschreiben zu lassen.

Stetig steigend

Entwicklung der Ausgaben für Krankengeld in Mrd. Euro
Jahr Ausgaben
2005 5,87 Mrd. €
2006 5,71 Mrd. €
2007 6,02 Mrd. €
2008 6,58 Mrd. €
2009 7,24 Mrd. €
Quelle: GKV-Spitzenverband - Tabelle: Ärzte Zeitung

Was sich aus diversen Statistiken indes eindeutig ableiten lässt, ist die Tatsache, dass die Zahl psychisch bedingter Fehlzeiten dramatisch zugenommen hat. Die Techniker Krankenkasse (TK) etwa spricht von einer Zunahme um 40 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. TK-Sprecherin Michaela Hombrecher begründet den Anstieg mit gravierenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Die sei härter, schneller und unübersichtlicher geworden. "Das hinterlässt Spuren." Aber nicht nur zu viel Arbeit, auch Arbeitslosigkeit zehre an den Nerven und mache viele krank. Hinzu komme, dass psychische Leiden heute öfter diagnostiziert würden als vor 20 Jahren. Hombrecher spricht in diesem Zusammenhang vom "Deisler-Effekt". Der Ex-Fußballer vom FC Bayern München hatte sich vor einigen Jahren wegen Depressionen in ärztliche Behandlung begeben und öffentlich über sein Leid gesprochen.

Für Kassen wie Arbeitgeber stellt die Zunahme psychischer Leiden ein großes, weil teures Problem dar. Im Vergleich zu anderen Krankheiten seien psychische Erkrankungen häufig mit langen Ausfallzeiten verbunden, so Katrin Macco vom Wissenschaftlichen Institut der AOK, WidO. Bei einer Atemwegserkrankung fehle ein Mitarbeiter durchschnittlich 6,5 Tage. Bei einer psychischen Erkrankung seien es fast 23 Tage. "An das Problem müssen alle ran: Unternehmen, Mitarbeiter, Kassen. Sonst kriegen wir das nicht in den Griff."

Erste große Kassen, darunter TK und Barmer GEK, haben bereits reagiert. Sie bieten kleinen wie großen Unternehmen betriebliches Gesundheitsmanagement an. Dazu werden Berater in die Firmen geschickt, die gemeinsam mit Management und Betriebsrat ein Bündel von Maßnahmen ausarbeiten, um "Arbeit gesünder zu machen": Die Palette reicht von der gesundheitsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen bis hin zu Burn-Out Kursen und einem "psychiatrischen Fallmanagement".

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