Damit die Versorgungskette hält

Regionale Akteure spielen den „Katastrophenfall Hitze“ durch

Welche Bausteine braucht es, damit regionale Hitzeschutzsysteme funktionieren? Und damit medizinische Strukturen nicht überfordert werden? Gesundheitsakteure in Baden-Württemberg haben den Katastrophenfall durchdekliniert.

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Temperaturen von 40 Grad über mehrere Tage – ein Szenario, das auch in Deutschland künftig häufiger eintreten könnte.

Temperaturen von 40 Grad über mehrere Tage – ein Szenario, das auch in Deutschland künftig häufiger eintreten könnte.

© Frank Rumpenhorst / picture alliance / dpa

Stuttgart. Wie gelingt ein gutes Hitzewarn- und -schutzsystem? Und wie lässt sich dafür sorgen, dass ambulante und stationäre Versorgung während solcher Extremwetterereignisse nicht an ihre Grenzen stoßen? In Baden-Württemberg haben nun Fachleute und Entscheider aus Gesundheitswesen, Katastrophenschutz, Landesministerien und kommunalen Verwaltungen auf Initiative des KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. und der AOK Baden-Württemberg in einem Workshop den „Katastrophenfall Hitze“ durchgespielt. „Unser Ziel war, dass wir schon im Frühjahr 2026 in Baden-Württemberg besser vorbereitet sind“, sagte der KLUG-Vorsitzende Dr. Martin Herrmann bei der Online-Pressekonferenz am Mittwochnachmittag.

Wetterereignisse wie Ende Juni, Anfang Juli, mit Hitzedomen mit deutlich über 40 Grad über mehrere Tage in einigen Regionen Europas werden künftig häufiger – auch in Deutschland, ließ Dr. Stefan Muthers vom Deutschen Wetterdienst durchblicken. „Hitzeperioden nehmen zu – und sie werden länger und intensiver.“

„Wir brauchen Alarmierungsketten“

Was auf unseren Breitengraden passieren könne, habe 2021 das Beispiel Vancouver gezeigt, ergänzte Prof. Clemens Becker vom Universitätsklinikum Heidelberg. „Dort wurden 14 Tage lang Temperaturen von 48 Grad Celsius und mehr gemessen. Das war für mich der Weckruf, Vancouver liegt nahe dem Breitengrad von Frankfurt und Mainz. Auf so etwas wären wir nur teilweise vorbereitet.“

Im Workshop hätte man daher eine Hitzewelle im Rheintal von über 40 Grad, samt Nachthitze über zwei Wochen durchgespielt, berichtete Becker. Aber auch geschaut, wie die Vernetzung mit anderen Regionen läuft. „Wir brauchen Alarmierungsketten“, sagte Dr. Robin Maitra, Vorstand und Klimaschutzbeauftragter der Landesärztekammer Baden-Württemberg, „Hitze betrifft ja meist nicht nur einzelne Regionen“.

Risikogruppen nicht zu eng fassen

Folgende Bausteine und Forderungen für einen besseren Hitzeschutz haben die Fachleute ausgemacht:

Es brauche Maßnahmen, um Risikogruppen vorab zu informieren und im Hitzefall evtl. mit Kühlmitteln zu versorgen. Ähnliches hatte KLUG bereits Anfang Juli zusammen mit der Bundesärztekammer gefordert. Dabei reiche es nicht, ältere und Menschen mit chronischen Erkrankungen im Blick zu haben, so die Experten. Zu den Risikogruppen zählten ebenso Kleinkinder, generell Menschen mit niedrigen Einkommen und in prekären Wohnsituationen sowie all jene, die im Freien arbeiten.

Dafür müsste zunächst erst einmal geklärt werden, wie man im Hitzefall die Daten von Risikogruppen erhalte.

Die Bevölkerung müsse generell breiter informiert und sensibilisiert werden. Dazu gehören für Becker auch Tipps wie der, dass eine Wärmepumpe im Haus bei Hitze zum Kühlen der Räume genutzt werden könnte. „Da müssen wir nicht über zusätzliche Klimaanlagen nachdenken.“

Es müsse sichergestellt werden, dass die medizinische Versorgung durch eine Vielzahl von hitzebedingten Krankheitsfällen nicht an ihre Belastungsgrenze stoße und auch nicht-hitzebedingte Versorgung überhaupt noch stattfinden könne. „Ähnlich wie in der Pandemie müssen wir vor allem dafür sorgen, dass die stationären Strukturen möglichst entlastet werden“, so Maitra. Laut Becker müssten zusätzlich ehrenamtliche Strukturen schnell mit einbezogen werden können.

Es müssten kühle Räume geschaffen werden, um Menschen, die in ihren Wohnungen bei Hitze nicht mehr sicher sind, auch evakuieren zu können. „Hier brauchen wir Kapazitäten für mehrere Tage“, erklärte Herrmann, und für größere Menschengruppen. Es könne durchaus damit gerechnet werden, dass Gemeinschaftsunterkünfte wie Pflegeheime teilweise evakuiert werden müssten, damit sie für die Bewohner nicht zu Hitzefallen werden.

Auf Kreis- und Landesebene müssten Hitzekrisenstäbe eingerichtet werden, die auch bundesweit vernetzt werden. „Wir müssen ähnlich durchorganisiert wie bei Hochwasserereignissen sein“, sagte Herrmann. Zusätzlich müssten sich in den Regionen sektorübergreifende Akteursbündnisse bilden. Zu diesen gehören etwa die Ärztinnen und Ärzte vor Ort, öffentlicher Gesundheitsdienst, Pflegeberufe, Krankenhausträger, Sozialdienste, Wohlfahrtsverbände, aber auch Städtebauer. (reh)

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