Finanzierung der GKV

Schockvokabular ist fehl am Platze!

Mit einem Schock-Vokabular befördern "Spiegel online" und die "Bild"-Zeitung die Debatte um die wachsende Disparität in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei kann von Kostenexplosionen nicht die Rede sein.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Die Debatte um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse läuft heiß.

Die Debatte um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse läuft heiß.

© Christian Ohde / Bildagentur-onl

NEU-ISENBURG. "Beitragsschock bei Krankenkassen" lautete jüngst die Schlagzeile von "Bild" auf Seite 1. "Sie steigen, steigen und steigen... Die Sozialbeiträge rasen in den nächsten Jahren kräftig nach oben", konstatierte "Bild" unter Berufung auf "Spiegel online", der sich seinerseits auf eine Studie des Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen stützte.

Tatsache ist: Nichts explodiert. Und ökonomische Schocks wie das Platzen der Immobilienblasen und der Zusammenbruch von Lehman Brothers im Herbst 2007 sehen anders aus. In Wirklichkeit findet ein schleichender Abbau der Finanzreserven der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds statt - und das bekommen auch die Beitragszahler zu spüren.

Wehgeschrei um Zusatzbeitrag

Besonders heftig und kontrovers wird dabei der Zusatzbeitrag diskutiert, der von den Versicherten allein bezahlt werden muss. Er lag letztes Jahr im Durchschnitt bei 0,9 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens.

In diesem Jahr sind es im Schnitt 0,2 Punkte mehr - bei einzelnen Kassen wie etwa der DAK Gesundheit fiel die Erhöhung mit 0,6 Punkten drastischer aus. Weil die Versicherten auf solche Erhöhungen sensibel reagieren - was ökonomisch erwünscht ist - ertönt bei den betroffenen Kassen und ihrem Spitzenverband regelmäßig Wehgeschrei.

Nach einer Prognose des GKV-Spitzenverbandes aus der ersten Julihälfte wird sich die Tendenz zu höheren Zusatzbeiträgen fortsetzen: Verbands-Chefin Doris Pfeiffer rechnet für 2019 mit einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 1,8 Prozent.

Problem könnte sich verschärfen

Diese Vorausschätzung hat jetzt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem mit einer eigenen Studie, die bis zum Jahr 2020 reicht, ergänzt: Er kalkuliert den dann erforderlichen Zusatzbeitrag auf durchschnittlich 2,4 Prozent.

Für einen Beitragszahler, dessen Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze von 4237,50 Euro (aktueller Wert 2016) liegt, steigt die Krankenversicherungsprämie allein deswegen um 55 Euro monatlich im Vergleich zu heute. Wenn die Beitragsbemessungsgrenze steigt, was wahrscheinlich ist, fällt die Zusatzbelastung höher aus.

Diese Entwicklung hat Ursachen und Konsequenzen. Ein Grund ist die Unterdeckung der Beitragszahlungen für ALG-II-Empfänger, die über zwei Milliarden Euro ausmacht. Das Problem könnte sich in Zukunft verschärfen, wenn Flüchtlinge, die noch nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, Anspruch auf reguläre GKV-Leistungen erhalten.

Ein Problem vor allem für die SPD

Eine weitere Ursache sind die vielen Leistungsgesetze der großen Koalition. Am teuersten dürfte die Pflegereform sein, die allerdings auch mit einem höheren Beitragssatz für die Pflegeversicherung gegenfinanziert worden ist und die Krankenversicherung nicht belastet. Allerdings: die Maßnahmen gegen Ärztemangel auf dem Land oder den Pflegenotstand in Krankenhäusern wurden alle im Konsens der großen Koalition beschlossen.

Vor allem für die SPD wird es dabei zum Problem, dass die Versicherten überproportional mit dem steigenden Finanzbedarf des Gesundheitswesens belastet werden, weil der allgemeine Beitragssatz, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam finanzieren, gesetzlich auf 14,6 Prozent festgeschrieben ist. Doch diese Zahl ist kein in Beton gegossenes Dogma mit Ewigkeitswert, sondern kann - sofern sich eine politische Mehrheit dafür findet - jederzeit ohne Zustimmung des Bundesrates korrigiert werden.

Unterdessen wird in der SPD über eine Variante nachgedacht: einen Sozialversicherungsfreibetrag für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Die Gegenfinanzierung soll über eine höhere Besteuerung Besserverdienender sowie durch härteres Vorgehen bei Steuerhinterziehung erfolgen.

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