Wer den Arzt schwächt, verletzt den Patienten

Warum laufen Rechte von Patienten manchmal ins Leere? Gesetzeslücken? Vielleicht - aber in der Realität sind es Komplexität und Verantwortungslosigkeit, die Grund dafür sind, dass Patienten allein gelassen werden. Ein Patientenschutzgesetz ist in Wirklichkeit nutzloser Rechtsrokoko - ein Alibi für die Gutmeinenden.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Und noch ein Gesetz - diesmal zum Schutz oder für die Stärkung der Rechte von Patienten? © bonn-sequenz / imago

Und noch ein Gesetz - diesmal zum Schutz oder für die Stärkung der Rechte von Patienten? © bonn-sequenz / imago

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DRESDEN. Wer bei Google den Begriff "Patientenrechte" eingibt, stößt auf rund 41 700 Treffer. An erster Stelle steht ein Leitfaden der Bundesministerien für Gesundheit und Justiz aus dem Jahr 2003, gefolgt von einem ähnlichen Leitfaden der KBV.

Charakteristisch für die durchweg schmalen Broschüren ist: Im konkreten Einzelfall bieten sie Patienten keine Hilfe. Viel zu kompliziert ist das deutsche Gesundheitsrecht, um beispielsweise aus einer 2002 von wichtigen Verbänden des Gesundheitswesens verabschiedeten Patientencharta konkret darüber Aufschluss zu erhalten, mit welchem Recht ein Patient eine bestimmte Facharztbehandlung erlangen oder ein bestimmtes Arzneimittel von der Kasse bezahlt bekommen kann.

Tatsache ist: Wir haben in Deutschland eine Debatte über die Notwendigkeit eines Patientenrechtegesetze. Was sind die Gründe dafür?

Zum ersten: Es gibt in Deutschland einen breiten Grundkonsens über die grundsätzlichen Kriterien für die Gesundheitsversorgung:

  • Die Anerkennung der Menschenwürde, explizit auch aufgenommen in das Krankenversicherungsrecht (Anspruch auf Humanität).
  • Das Recht auf Unversehrtheit, explizit konkretisiert in vielen Gesetzen, etwa im Arzneimittelgesetz, im Strafgesetzbuch, im Berufsrecht der Heilberufe, umgesetzt beispielsweise durch Ethikkommissionen.
  • Das Gleichheitsgebot.
  • Das Sozialstaatsgebot.
  • Das Recht auf freie Arztwahl und auf Pluralität in der Medizin.
  • Das Recht auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt.
  • Das Recht auf Information und Aufklärung, insbesondere über medizinische Risiken.

Das Fazit kann nur lauten: Es herrscht keinen Mangel an Rechtsgrundlagen. Dennoch: Das Unbehagen darüber, im Krankheitsfall allein gelassen zu sein, ist in der Gesellschaft eine Tatsache. Es beruht auf eigener oder von anderen berichteter Erfahrung. Dieses Unbehagen muss ernst genommen werden, weil es auf die Dauer zerstörerisch wirkt für das Vertrauen in den Sozialstaat.

Was sind die Ursachen?

Es sind die Leistungsfähigkeit moderner Gesellschaft, verknüpft mit den hohen Ansprüchen, die komplexe Regelwerke erfordern. Neben den allgemeinen Gesetzen - Bürgerliches Recht und Strafrecht - ist eine Fülle von Spezialnormen getreten: etwa das Arztrecht. Doch weder das Zivilrecht oder das Arztrecht müssen hundertprozentig kompatibel sein mit dem Sozialrecht. Das kann Ansprüche erweitern, aber auch mindern.

Vor allem das Sozialrecht ist janusköpfig: Es gibt Versicherten und Patienten Ansprüche und legt dem Arzt Pflichten auf, diese Ansprüche zu befriedigen. Im Sachleistungssystem hat der Versicherte seinen Beitrag mit befreiender Wirkung gezahlt und Anspruch auf das komplette GKV-Leistungspaket erworben. Dieses Leistungsversprechen ist für die gesetzliche Krankenversicherung nur mit einem begrenzten Risiko verbunden, weil sie die Leistung nicht selbst erbringt, sondern bei KVen einkauft. Der zahlt sie - mit befreiender Wirkung - eine Gesamtvergütung und erwirbt im Auftrag ihrer Versicherten den Anspruch auf komplette Leistungserbringung. Das sollen die KVen organisieren und bedient sich dazu ihrer Zwangsmitglieder: der Vertragsärzte.

Die wiederum sind mit Honorar- und Mengenbegrenzungen, Richtgrößen, Vorgaben, Quoten und Rechtfertigungszwängen in einem inzwischen bösartigen Ausmaß eingekerkert - wobei sich die Zellengröße häufig im Quartalstakt ändert.

Nun erwartet der Kassenpatient - nach dem Gesetz völlig zu Recht - im Krankheitsfall effektive Hilfe seines Arztes: rasche Zuwendung, Therapie, Facharzt-Konsultation, Arznei- und Heilmittel, Pflegeleistungen. Der Hausarzt jongliert mit einem Wertvolumen an veranlassten Leistungen, das ein Vielfaches seines Honorars beträgt - und haftet für die Wirtschaftlichkeit. Zumindest ist er immer in der Begründungspflicht. Das ist häufig die gefühlte Wirklichkeit von Ärzten - aber auch brutale Realität, wenn ein Hunderttausend-Euro-Regress ins Haus kommt.

Ein Zwischenfazit: Die soziale Krankenversicherung und ihr Pendant auf der ärztlichen Seite, die KVen, haben Rahmenbedingungen, in denen die soziale Schutzfunktion für das schwächste Glied in der Kette, den Patienten, nur noch schwerlich erfüllt werden kann.

Warum?

Weil die überwiegende Last an Risiken und Ungewissheiten auf das zweitschwächste Glied in der Kette verlagert worden ist: den Arzt.

Wundert es, dass der Arzt zu unschönen Ausweichreaktionen neigt: Budgetferien am Ende des Quartals? Wartezeiten? Wohl kaum.

Die Therapie gegen solche Krankheitserscheinungen im Gesundheitswesen ist schwierig. Sie setzt zunächst eine eingehende, schonungslose Diagnostik voraus, der Korrekturen in der Fehlorganisation von Leistung und Finanzierung folgen müssen.

Die Ursache der Fehlentwicklung ist, dass Vertragsärzte in den vergangenen 20 Jahren mehr und mehr zu Agenten des GKV-Systems geworden sind und ihre Garantenstellung für den Patienten, die Souveränität und Freiheit voraussetzt, geschwächt worden ist.

Hilft dabei ein Patientenrechtegesetz? Wohl nicht! Welcher Effekt wird erzielt, wenn ein zweites oder ein drittes Mal aufgeschrieben wird, was der Patient vom Arzt oder vom Gesundheitssystem beanspruchen darf, wenn zugleich aber die inhärenten Systemschwächen fortbestehen? Das bleibt wirkungslos - ähnlich wie das unsägliche Beauftragtenwesen in Deutschland, das in Jahresberichten Mängellisten publiziert, die gelocht in Aktenschränken verstauben. Außerdem werden die Verantwortlichkeiten verwischt: Die Verantwortung des Parlaments gegenüber den humanen Grundprinzipien des Staates und der Gesellschaft, die Verantwortung der staatlichen Administration gegenüber dem Parlament. Und schließlich die Verantwortung subsidiärer Organisationen wie die der Krankenkassen und der ärztlichen Selbstverwaltung gegenüber Staat und Gesellschaft.

Eine weitere Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist auch dadurch entstanden, indem gesetzliche Aufträge nicht erfüllt werden.

Das prominenteste Beispiel dafür ist die spezielle ambulante palliativmedizinische Versorgung (SAPV), auf die gesetzlich Krankenversicherte seit drei Jahren, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Wettbewerbsstärkungsgesetzes, Anspruch haben.

Tatsächlich existieren nur punktuell Leistungsstrukturen. Für das mehrstufige Aufbauprocedere einer Angebotsinfrastruktur ließen sich sowohl der Gemeinsame Bundesausschuss wie auch letztlich die Krankenkassen unangemessen viel Zeit.

Ursache dafür sind nicht Unklarheiten im Gesetz oder ein Mangel an Patientenrechten. Woran wohl ein Mangel herrscht, das sind Sanktionsmöglichkeiten gegen Systemverantwortliche.

Es bleibt das Geheimnis der Initiatoren von Patientenschutz- oder -rechtegesetzen, wie dem Kranken mit einem weiteren Paragrafenwerk just dann geholfen werden kann, wenn die Not am größten ist: wenn der Arzt, die Medizin, die Pflege hier und jetzt gebraucht wird.

Die Eckpunkte der Bundesärztekammer

Für die Diskussion über ein Patientenrechtegesetz hat die Bundesärztekammer Eckpunkte als Grundlage entwickelt. Die Anforderungen sollen sein:

  • Der Patient hat Anspruch auf eine individuelle, nach seinen Bedürfnissen ausgerichtete Behandlung und Betreuung.
  • Der Patient hat Anspruch auf freie Arztwahl.
  • Der Patient hat Anspruch auf Transparenz.
  • Der Patient hat Anspruch auf Wahrung des Patientengeheimnisses.
  • Der Patient hat Anspruch auf die Solidarität der Versicherten.
  • Der Patient hat Anspruch auf eine solidarische Krankenversicherung, die diesen Namen verdient.
  • Der Patient hat Anspruch auf ein bürgernahes Gesundheitswesen.
  • Der Patient erwartet Fürsorge und Zuwendung von den im Gesundheitswesen Tätigen.
Wolfgang Zöller (CSU) will spätestens 2011 ein Patientenrechtegesetz im Bundesgesetzblatt stehen haben. © BMG

Wolfgang Zöller (CSU) will spätestens 2011 ein Patientenrechtegesetz im Bundesgesetzblatt stehen haben. © BMG

© BMG



Basis für ein solches Gesetz sollen zunächst Beratungen mit Patienten, Patientenvertretern und Selbsthilfegruppen, mit Krankenkassen, Ärzten und Richtern sowie Angehörigen der Schlichtungsstellen sein.

Zur Legitimation, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, beruft sich Zöller auf mehr als 10 000 Eingaben. Einen Schwerpunkt macht dabei offenbar die Vorenthaltung von Leistungen aus. Zöller beklagt das Verantwortungskarussell, das sich zwischen Ärzten und Krankenkassen zu Lasten der Patienten entwickelt hat. (HL)

Lesen Sie dazu auch: Zöller: Keine Umkehr der Beweislast

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