Zucker-Teststreifen vor dem GKV-Ausschluss

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) will in der nächsten Woche die Verordnungsfähigkeit von Harn- und Blutzuckerteststreifen für nicht insulinpflichtige Diabetiker einschränken.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Kleines Hilfsmittel, großer Unmut. Die Teststreifen zahlt die Kasse nicht mehr selbstverständlich.

Kleines Hilfsmittel, großer Unmut. Die Teststreifen zahlt die Kasse nicht mehr selbstverständlich.

© Walter Luger / fotolia.com

BERLIN. Die nicht insulinpflichtigen Diabetiker des Typs 2 in Deutschland werden künftig für ihre Harn- und Blutzuckerteststreifen weitgehend selbst aufkommen müssen.

Ihre Ärzte dürfen ihnen die Streifen nur noch in Ausnahmefällen schreiben. Betroffen seien rund drei Millionen Menschen in Deutschland, schätzen Selbsthilfeorganisationen.

Drei Millionen Diabetiker müssen sich umstellen

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) wird in seiner Sitzung am nächsten Donnerstag voraussichtlich den Verordnungsausschluss beschließen. Immer vorausgesetzt, die Sitzung findet statt und das Thema wird aus heute noch nicht bekannten Gründen vertagt.

Dies wurde aus dem Umfeld des Ausschusses bekannt. Insulinpflichtigen Diabetikern dürfen Ärzte die Hilfsmittel zur Selbstbestimmung des Zuckerspiegels weiter zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verschreiben.

Für Menschen mit vorübergehender instabiler Stoffwechsellage sollen Ausnahmen gelten. Dies können zum Beispiel Ersteinstellungen und Therapieumstellungen sein.

Auch an Grippe erkrankten Menschen oder Diabetikern, die nach einem langen Flug unter Jetlag leiden, dürfen Ärzte bis zu 50 Streifen verordnen, und zwar so oft dies notwendig sei.

Der Ausschuss habe sich bei dieser Mengengrenze an den schon von einigen Kassenärztlichen Vereinigungen gemachten Vorgaben orientiert.

Grundlage der anstehenden Entscheidung des GBA sind die Ergebnisse einer Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Danach gibt es "weder für die Blutzuckerselbstmessung noch für die Urinzuckerselbstmessung einen Beleg für einen Nutzen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2." So zitiert der Deutsche Diabetiker Bund in einer auf seiner Webseite veröffentlichten Stellungnahme aus einem Papier des GBA.

Die Selbsthilfeorganisation hält den geplanten Verordnungsausschluss für rechtswidrig. Er halte einer Überprüfung im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nicht stand.

Das IQWiG habe zu wenige Studien berücksichtigt. Konkret genannt ist die Rosso-Studie. Das IQWiG habe die Lebensqualität der Patienten zu gering gewichtet.

Führte der Sparzwang bei der Nutzenstudie die Feder?

Der Diabetikerbund kommt zu dem Schluss: Die Studien seien so ausgesucht worden, dass der Ausschuss zu dem fiskalisch gewünschten Ergebnis, nämlich zum Verordnungsausschluss, habe kommen müssen.

Tatsächlich könnte der Verordnungsausschluss einen spürbaren Markteingriff bedeuten. Rund 900 Millionen Euro kosten die Teststreifen die gesetzlichen Kassen im Jahr. Mit den Ausgaben der privaten Versicherer und der Selbstzahler summiert sich das betroffene Marktvolumen auf mehr als eine Milliarde Euro.

Beim GBA sieht man Hinweise darauf, dass die Industrie in der Vergangenheit einen großzügigen Umgang mit den Streifen gefördert hat. So werden die Messgeräte, in die die Streifen eingeführt werden müssen, meist gratis verteilt. Erlöse erzielen die Anbieter mit dem Verkauf der Teststreifen.

Diese gängige Praxis war einer der Auslöser, den tatsächlichen Nutzen der Harn- und Blutzuckerselbstbestimmung unter die Lupe zu nehmen. Ausgerechnet am Startpunkt einer Medikation fehle die Kontrolle darüber, ob die Selbstmessung nötig sei, monierte der GKV-Spitzenverband.

Auch die Ärzteseite stellte sich nicht gegen die Nutzenbewertung der Teststreifen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, ebenfalls im GBA vertreten, fordert für die Zeit nach dem Verordnungsausschluss eine Evaluierung, inwieweit sich der Ausschluss auf die Zahl der Arztbesuche auswirkt.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 09.03.201119:44 Uhr

Das Drama des "unbegabten" IQWiG und des B-GA in der Diabetologie

"Fehlende wissenschaftliche Belege, die den Nutzen der Teststreifen belegten", ließ der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte und Krankenkassen verlauten, und hat sich dieses "faule Ei" auch noch vom IQWiG ins Nest legen lassen. Dessen neuer Chef, Prof. Dr. med. Windeler, diesmal kein wissenschaftlich ausgewiesener Diabetologe, hatte denn auch noch zum Amtsantritt den Nutzen jeglicher Vorsorgeuntersuchungen belegfrei pauschal in Frage gestellt.

Für wie dumm sollen wir Ärztinnen und Ärzte denn verkauft werden? Warum messen wir wohl den Blut-Glucosespiegel und den HbA1c bei unseren DMP Diabetes Typ 1 + 2 Patienten regelmäßig in der Praxis? Und die Kliniken machen BZ-Tagesprofile! Weil das zu Hause, vom Patienten selbst gemessen, nüchtern, prä- und postprandial, mit und ohne EDV-Dokumentation, nicht wissenschaftlich genug ist? Wir vermeiden doch gerade bei unseren multimorbiden Typ 2 Diabetikern durch moderne orale Antidiabetika (OAD) die Insulinmast mit Hypoglykämierisiko und sekundären Adipositaskomplikationen! Sollen wir unsere Patientinnen und Patienten nur noch als "wissenschaftliche Fälle" betrachten und nicht mehr individualisierte Medizin und Heilkunde betreiben dürfen?

Ist es eventuell an der Zeit, dass der G-BA, mit Dr. jur. Rainer Hess als Vorsitzenden, regelmäßig ein ''geriatrisches Basisassessment'' durchlaufen müsste, b e v o r eine Beschlussvorlage erörtert werden kann? Kann hier jemand vor lauter ''Vergreisungstendenzen'' nicht mehr zwischen Auf-, Ab- und Zurücktreten unterscheiden?

Die Nachrichtenagentur dapd berichtete, dass Prof. Dr. Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler und Ökonom an der Bremer Uni, sich zum deutschen Ober-Diabetologen aufschwang. Er sekundierte dem G-BA, dessen bisherige Entscheidungen nur zu oft von unseren Gerichten kassiert wurden. Mit seinem Hinweis "auf die Situation in vielen europäischen Nachbarländern", wo "die Teststreifen für nicht insulinpflichtige Diabetiker schon seit Längerem nicht mehr als Kassenleistung abgerechnet werden können", erwies er dem G-BA einen Bärendienst: Das gilt nämlich besonders für die Länder Europas, die gar keine mit unserer GKV vergleichbaren Krankenversicherungssysteme haben. Und Herr ''Kollege'' Glaeske müsste wissen, dass in der GKV die vertragsärztlich verordneten Glucose-Teststreifen in unser GKV- M e d i k a m e n t e n b u d g e t einfließen. Scheint es evtl.
''wissenschaftlich erwiesen'', dass ein Herunterschlucken von benutzten Teststreifen die Diabetesbilanz verbessern könnte?

Man kann dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB), Dieter Möhler, nur zustimmen, wenn er von "Irrsinn und Medizin der 70er Jahre, in die der Patient vom G-BA gedrängt" werde, spricht. Aber vermutlich möchte uns der G-BA und sein Vorsitzender Dr. Hess noch weiter in eine Zeit zurückbeamen, in der die Erde noch für eine Scheibe gehalten wurde und Ärzte nur Halbgötter oder Scharlatane waren!

Der Gipfel ist allerdings, dass bei "Jetlag", "Grippe", "schwankenden Glucosewerten" (welcher Patient kennt die nicht?) die viel gescholtenen Teststreifen wieder viel gepriesen sind. Und dass "Harn z u c k e r"- und "Blut z u c k e r" Teststreifen keinen Nutzen haben können, ist doch sonnenklar: Wir messen ja auch seit Jahrzehnten G l u c o s e ! Ist dass den älteren Herrschaften des G-BA vielleicht noch gar nicht aufgefallen?

Macht die Teststreifen doch einfach durch Großeinkauf und Eigenherstellung durch die GKV billiger!

Freundliche, kollegiale Grüße, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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