Ärztenetz "elan": "Einzelkampf war gestern - Netzwerk ist heute"

Im niedersächsischen Winsen unternehmen Haus- und Fachärzte selbst etwas gegen Ärztemangel: Rund die Hälfte der Ärzte vor Ort hat sich im Netz "elan" organisiert. Außer auf Diagnose-Raster setzt das Netz auf Kooperationen - etwa mit Heimen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Thomas Hesse (links) und Jana Wiegel vom Cura Seniorenheim Winsen (mit elan-Koordinator Dr. Stefan Bruns) sehen das Ärztenetz positiv.

Thomas Hesse (links) und Jana Wiegel vom Cura Seniorenheim Winsen (mit elan-Koordinator Dr. Stefan Bruns) sehen das Ärztenetz positiv.

© C. Beneker

WINSEN. Wer gründlich nachdenkt, kommt auf einfache Lösungen. So geschehen in Winsen an der Luhe, einem beschaulichen Städtchen in Niedersachsens Nordosten nahe Hamburg.

Hier haben sich derzeit 48 Haus- und Fachärzte zum Ärztenetz "elan" zusammengetan, und damit rund die Hälfte aller Niedergelassenen in der Region. Mit von der Partie: die Krankenhäuser Winsen-Luhe und Salzhausen - und das Cura Seniorenzentrum Winsen als Kooperationspartner.

"Knapp über der Unterversorgung"

"Auch bei uns herrscht Ärztemangel; bei den Fachärzten geht es noch, aber bei den Hausärzten liegen wir knapp über 25 Prozent der Bedarfplanung", erklärt Netzwerkkoordinator, Health Care Manager Dr. Stefan Bruns, "also knapp über der Unterversorgung."

Für die Hausärzte der Region bedeutet das: Arbeit, Arbeit, Arbeit. "Unsere Praxen sind voll bis unters Dach", sagt denn auch Hausarzt Reiner Hennecke, einer der Gründerväter des Netzes und dessen Geschäftsführer.

Das erste Projekt: Das Netz benennt feste Heimärzte

Das soll sich ändern, beschlossen die Gründer-Ärzte und planten zwei Jahre lang die ersten Schritte für "elan". Ihr Credo: Bessere Kommunikation führt zu abgestimmten Behandlungen. Zum offiziellen Start des Netzes am 9. November 2011 verkündeten sie denn auch selbstbewusst: "Einzelkampf war gestern - Netzwerk ist heute!"

Nach ihrer ausführlichen Planung sind die Netzwerker kürzlich mit ihrem ersten - so effektiv wie einfach gestrickten - Projekt an die Öffentlichkeit getreten, mit dem Heimarzt-Projekt: Seit drei Monaten sind es nur noch drei Netzwerk-Kollegen anstelle der vielen Hausärzte, die ihre Pflegepatienten im Cura Seniorenzentrum in Winsen versorgen.

"Da unsere Wartezimmer sowieso überfüllt sind, hat keiner der Kollegen die Befürchtung, mit den Heimbewohnern entscheidend Patienten zu verlieren", sagt Hennecke.

Erfolge zeigen sich

Schon nach einem Vierteljahr zeigen sich Erfolge. "Wir stellen fest, dass unsere Bewohner deutlich seltener ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen", sagt Cura-Einrichtungsleiter Thomas Hesse zur "Ärzte Zeitung".

"Das spart Geld, weil wir unsere Pflegebetten dadurch durchgängig belegen und nicht während des Klinikaufenthaltes unserer Bewohner teuer leer stehen lassen müssen."

Gute Resonanz bei den Bewohnern

Zur Kooperationen von Cura und elan gehören neben wöchentlichen Hausbesuchen und gemeinsamen Fortbildungen im Hause auch Qualitätszirkel, Aufnahmevisiten und wöchentlich stattfindende Lehrvisiten mit den Pflegekräften des Hauses.

"Die Resonanz bei unseren Bewohnern ist durchweg positiv", erklärt Jana Wiegel, Assistentin der Cura-Geschäftsführung.

"Wenn die alten Leute wissen, ‚morgen kommt der Doktor‘, dann sind die Bauchschmerzen von gestern gar nicht mehr so schlimm." Sogar ein jährliches Angehörigengespräch ist Teil des Vertrages.

Erste Kasse meldet Interesse an

Finanziert wird das Ganze über den normalen EBM und aus Zuschüssen des Pflegeheims, die es aus der höheren Bettenauslastung generiert. Abgerechnet werden die Leistungen über die Ärztegenossenschaft Niedersachsen/ Bremen (ägnw). "Inzwischen hat schon die erste Kasse Interesse bekundet", sagt Bruns.

Ein Vertragsentwurf zur integrierten Versorgung nach Paragraf 140 SGB V liege bereits vor. "Aber mehr können wir noch nicht sagen."

Wer im Raster hängen bleibt, wird überwiesen

Ähnlich simpel reduzieren die Hausärzte des Netzes den Ansturm auf den einzigen Rheumatologen im Landkreis. "Er hat uns Hausärzten ein Diagnoseraster gegeben, mit dem wir unsere Verdachts-Patienten screenen", sagt Hennecke. Nur wer im Raster hängen bleibt, wird zum Rheumatologen überwiesen.

"So werden weniger Patienten zum Facharzt geschickt und nur solche, die wirklich Rheuma haben", sagt Hennecke.

"elan-Akademie" geplant

In einer Reihe weiterer Arbeitgruppen planen die Kolleginnen und Kollegen Präventionskonzepte, die EDV-Vernetzung der Praxen oder interne Fortbildungen in der "elan-Akademie".

Elan will die ärztlichen Kapazitäten nicht nur besser nutzen, sondern auch erweitern und ist deshalb auch Teil des Weiterbildungsverbundes "Stadtlandpraxis". Hier kooperieren Landkreis, KV Niedersachsen, Kliniken und Ärzte im Landkreis Harburg.

Hennecke: "Wir werben mit Plakaten in Hamburg und haben Kontakte zum Uniklinikum Eppendorf aufgebaut, um Assistenten in den Landkreis zu holen. Jetzt schon kommen die Anfragen schneller, als wir die Assistenten unterbringen können." Die Kollegen hoffen auf den Heimat-Effekt: Wer in der Region lernt, bleibt auch in der Region.

75 Euro Monatsbeitrag, das brachte Diskussionsstoff

Aber die schöne, neue Ärztenetzwelt gab und gibt es nicht umsonst. In Winsen musste man erst lernen, miteinander ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen, so Bruns. Das dauert. "Wir haben eben jahrelang jeder für sich gearbeitet", erklärt Hennecke.

Und die 75 Euro Monatsbeitrag der Netzärzte sind auch kein Pappenstil. "Weil sich die Erfolge erst nach und nach einstellen, sah sogar mancher Netzarzt seine Erwartungen enttäuscht", berichtet Bruns.

Wer für das Netz arbeitet, erhält zehn Euro

Aber gut Ding will Weile haben - auch wenn man "elan" heißt. "Andere Kollegen waren unzufrieden, weil manche Kollegen sich sehr stark, andere sehr wenig im Netz engagierten."

Dieses Problem hat das Netz in bewährter Manier gelöst - simpel: Wer für das Netz arbeitet, erhält zehn Euro pro Stunde, wer nicht arbeitet, kann von seinen 75 Euro auch nichts wieder hereinholen. Bruns: "Das System funktioniert."

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nichts für Karteileichen

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