CompuGroup Medical

Arzt-EDV-Pionier Frank Gotthardt hört auf

Vom Start-up in Koblenz zum weltweit agierenden E-Health-Konzern: Frank Gotthardt, Gründer und Chef der CompuGroup Medical, wechselt in den Verwaltungsrat der KGaA. Damit zieht sich einer der Pioniere der Digitalisierung des Gesundheitswesens aus dem operativen Geschäft zurück.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Könnte es demnächst ruhiger angehen lassen: CGM-Chef Frank Gotthardt.

Könnte es demnächst ruhiger angehen lassen: CGM-Chef Frank Gotthardt.

© Hauke Gerlof

Koblenz. Sein neues Büro hat Frank Gotthardt schon bezogen: Etwas abseits vom Geschehen, aber doch nahe genug, um, wenn nötig, noch eingreifen zu können, sitzt der Gründer und Noch-CEO der CompuGroup Medical (CGM) im ehemaligen Gebäude der „Rhein Zeitung“. Die Regionalzeitung zieht demnächst an einen anderen Standort und schafft so Platz für die weitere Expansion des E-Health-Unternehmens mit Sitz in Koblenz, dessen Vorläufer Gotthardt vor 33 Jahren gegründet hat. Und sie hat bereits Platz geschaffen für den künftigen Verwaltungsratsvorsitzenden der CGM, Frank Gotthardt.

Vom Ein-Mann-Unternehmen zum multinationalen Konzern, der nach zwei großen Übernahmen 2021 die Umsatzschwelle von einer Milliarde Euro überwinden könnte: Eher durch Zufall kam der 1950 geborene Diplom-Informatiker, der in der Frühzeit der Personalcomputer zunächst Software für die Fleischwarenindustrie entwickelte, ins Gesundheitswesen: Ein Geschäftspartner, der Software für Zahnärzte gebaut hatte, ging pleite, Gotthardt durfte die Software aus der Konkursmasse übernehmen.

„Ich hatte damals 70 Zahnärzte als Kunden, viele kannte ich bald sehr gut“, erinnert er sich im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“. Damals, als Computer noch 50.000 DM aufwärts kosteten, lief die elektronische Datenverarbeitung noch längst nicht so reibungslos wie heute (meistens). Das Wachstum des jungen Unternehmens Dentev war rasant: Schon fünf Jahre nach Übernahme hatte Gotthardt 3000 Kunden und war die Nummer 2 am Markt für Zahnarztsoftware in Deutschland.

Der Einstieg in den Arzt-EDV-Markt

Dann kam der erste große Schritt, die Übernahme von CompuDent, der Nummer 1 im Markt, einer Aktiengesellschaft: „Das war ein Wahnsinnsprojekt über neun Monate hinweg, mit die intensivste Zeit in meinem Berufsleben. Aktienrecht, Finanzierung, Verkaufsverhandlungen – da habe ich ganz viel für die Jahre danach gelernt.“ Mit dieser Übernahme bekam Gotthardt auch einen Fuß in die Tür zu den niedergelassenen Ärzten: „Das schien mir damals schon vom Potenzial her spannender zu sein als bei den Zahnärzten, weil Ärzte viel stärker vernetzt arbeiten“, sagt er im Rückblick.

Statt die wenigen neuen ärztlichen Kunden abzugeben, startete Gotthardt mit der Expansion in Richtung Ärzte und in Richtung Vernetzung durch: Bereits 1997 gründete er das Unternehmen Telemed als Online-Dienst für Ärzte, das heute einen VPN-Zugangsdienst für die Telematikinfrastruktur betreibt.

Expansion durch Übernahmen

Vor allem aber waren die 1990er-Jahre und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geprägt von den Übernahmen anderer Arztsoftware-Unternehmen: Arcos, Dorsymed, Sysmed-KDV, Data Vital und am Ende auch noch TurboMed und Medistar, die zu den größten Konkurrenten am Markt zählten, wurden Teil der CompuGroup. Auch wenn Gotthardt die Programme der übernommenen Unternehmen am Markt beließ, sich für die Kunden also nur wenig änderte: Beliebt machte ihn die Expansion durch Übernahmen nicht unbedingt bei den Ärzten.

Frank Gotthardt

  • Geboren 1950 in Siegen
  • Ausbildung: Diplom-Informatiker, Abschluss in Bonn
  • Werdegang: 1987 Gründung von Dentev, dem ersten Vorläuferunternehmen der Compu- Group Medical
  • Börsengang: 2007 ging das von Frank Gotthardt gegründete Unternehmen an die Börse. 2020 Umwandlung der SE in eine KGaA.
  • Rückzug aus dem operativen Geschäft: 2021 wechselt Gotthardt in den Verwaltungsrat. In der KGaA behält die Familie Gotthardt das Sagen.
  • Privates: Liebhaber von Oldtimern; Hauptsponsor des Eishockey-Clubs Kölner Haie; verheiratet; sein Sohn ist habilitierter Arzt und ebenfalls in der Medizin-EDV-Branche tätig.

Gotthardt selbst sieht das durchaus differenziert: „Wir haben uns immer für die Interessen der Ärzte eingesetzt“, sagt er, und Kunden gebe es überall zufriedene und unzufriedene. Viele Ärzte identifizierten das Unternehmen aber inzwischen mit der Telematikinfrastruktur, glaubt Gotthardt, weil CGM über Jahre hinweg so viel Werbung für den TI-Einstieg gemacht habe. Und die TI habe unter Ärzten einfach ein schlechtes Image. Vor allem aber die „verfasste Ärzteschaft“, die in vielen Bereichen mit eigenen Angeboten Wettbewerber der CGM sei, habe ihre Probleme mit einem Unternehmen, das erfolgreich die Vernetzung vorantreibt.

„Ordnungspolitisch ungeschickt“

Es gibt auch immer wieder Reibungspunkte zwischen Gotthardt und den Kassenärztlichen Vereinigung und der KBV. Schon vor rund 20 Jahren, als die KBV einen eigenen Online-Dienst gründen wollte, wehrte sich Gotthardt vor Gericht wegen des Eingriffs in den Wettbewerb durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft – und setzte sich durch. „Eine Körperschaft ist kein Teil des freien Marktes“, sagt der Unternehmer, der hier eine klare Trennungslinie zwischen staatlichen Organisationen und Unternehmen sieht.

Einen eigenen KIM-Dienst (Kommunikation im Medizinwesen) der KBV sieht der CGM-Chef durchaus als legitim an, um die reibungslose elektronische Kommunikation unter den Mitgliedern zu ermöglichen. „Aber alles andere, was die Industrie machen kann, ist nicht Aufgabe einer Körperschaft. Termindienste beispielsweise brauchen die nicht zu machen.“

Gotthardt wäre nicht Gotthardt, wenn er sich nicht auch darüber ärgern würde, dass nur die Krankenkassen die elektronischen Patientenakten der gematik bereitstellen dürfen. „Das ist nicht vereinbar mit den Rechtsprinzipien und ordnungspolitisch ungeschickt“, schimpft er. Der Grund: Es bremse den freien Markt.

Zudem habe der Gesetzgeber den Rahmen für die Akte sehr eng gesteckt, Die eigene Entwicklung CGM life sei viel umfassender angelegt und könnte Schritt für Schritt weiterentwickelt werden. Für ihn wäre die verpflichtende Förderung einer privatwirtschaftlich entwickelten Akte nach vorgegebenen Standards das Optimum für eine schnelle Weiterentwicklung.

Immerhin sei die „gematik-Akte“, wie er die ePA nennt, deren Spezifikation die gematik ausgearbeitet hat, „besser als nichts“, zumal die Ärzte für den Einstieg in die Nutzung wegen der staatlichen Förderung nicht selbst investieren müssten.

Der Schlüssel zur Digitalisierung

Dabei weiß Gotthardt genau, dass die Ärzte und Zahnärzte, aber inzwischen auch andere Leistungserbringer, zum Beispiel Apotheker, Kliniken, Physiotherapeuten, Labor und Pflegedienste, das Herzstück seines Geschäftsmodells sind. Die Leistungen, die sie erbringen, werden auf seiner Software dokumentiert, die Verordnungen seiner Kunden gehen durch seine Programme, die Vernetzung kann über CGM-Produkte laufen – unter Leistungserbringern und auch zu den Patienten hin.

Mit der Akte CGM Life, die mehr Nutzer habe als alle Gesundheitsakten der gesetzlichen Krankenkassen zusammen, und den Clickdoc-Diensten wie Videosprechstunde und Terminvereinbarung sind Patienten längst in die Software-Welt von CGM integriert. „In der ersten Welle der Pandemie haben wir europaweit in wenigen Wochen 90.000 Installationen für Videosprechstunden-Software gestemmt. Das soll uns mal einer nachmachen“, sagt er nicht ohne Stolz.

Börsengang brachte Kapital für weitere Expansion

Die vertikale Expansion, also zusätzliche Software für Bestandskunden, sei nicht nur „enormes Potenzial, das wir heben können. Wir müssen es auch heben, weil wir die Pflicht haben, unsere Kunden mit modernen Anwendungen zu versorgen“, sagt Gotthardt dazu.

Und dieses Geschäftsmodell, die Leistungserbringer untereinander und mit Patienten zu vernetzen, ließ sich auch ins Ausland übertragen, die Expansion ging also weiter. Dafür brauchte das Unternehmen mehr Kapital – der Börsengang im Jahr 2007 war damit folgerichtig. Gotthardt nutzte die Spielräume durch das zusätzliche Kapital, das Wachstum des Unternehmens ist bis heute ungebremst. Zuletzt gelang unter anderem die Übernahme eines der großen Klinik-EDV-Anbieter – Cerner wurde Teil von CGM.

Als nächste Schritte der Digitalisierung nach den jetzt anstehenden medizinischen Anwendungen in der Telematikinfrastruktur und der ePA sieht Gotthardt einen verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin, etwa in der Diagnoseunterstützung, bei Gesundheits-Apps und in der strukturierten Dokumentation. „Das ist ein weites Feld, das werden wir nie auch nur annähernd vollständig anbieten können, sagt der CGM-CEO. Einen Ersatz für den Konnektor als Sicherheitsanker der TI sieht er Mitte des Jahrzehnts einsatzfähig.

Seinem designierten Nachfolger, dem Telekom-Vorstand Dr. Dirk Wössner, traut der Vollblutunternehmer ein weiteres dynamisches Wachstum in den kommenden Jahren zu. Die Digitalisierung geht weiter, und CGM ist mit seinen Produkten mittendrin im Geschehen.

Das Unternehmen: CompuGroup Medical

CompuGroup Medical SE & Co. KGaA: Erstes Vorläuferunternehmen gegründet von Frank Gotthardt 1987.

Branchen: E-Health, IT-Systeme für Arzt- und Zahnarztpraxen, Kliniken, Apotheken, Labore, Pflege, Physiotherapie etc.

Anwender: In Deutschland nach Unternehmensangaben ca. 18.000 Zahnärzte, 70.000 Ärzte inklusive Privatärzte, ca. 3100 Apotheken.

Weltweit arbeiten 1,6 Millionen Leistungsanbieter mit Produkten von CGM.

Mitarbeiter: Nach den jüngsten Übernahmen 7500 weltweit, davon 1200 am Campus in Koblenz.

Umsatz: 820-860 Millionen Euro (erwartet für 2020); geplant für 2021: 1 Milliarde Euro. (ger)

Quelle: Angaben des Unternehmens

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