EuGH-Urteil zu Rx-Boni

Auch davon geht die Apotheker-Welt nicht unter

Für viele kam das Votum des EuGH gegen die deutsche Rx-Preisbindung überraschend: Ausländische Versandapotheken dürfen Rezept-Boni geben. Wie geht es jetzt für die inländischen Apotheken weiter?

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Geraten deutsche Apotheken durch das EuGH-Urteil satärker unter Druck?

Geraten deutsche Apotheken durch das EuGH-Urteil satärker unter Druck?

© kadmy / iStock

Ein Päckchen Papiertaschentücher, eine Handvoll Hustenbonbons oder zur Weihnachtszeit einen Taschenkalender in billigem Plastik: Apotheker müssen sich mit Zugaben zurückhalten. Zumindest im Rezeptgeschäft gelten in Deutschland seit Jahr und Tag Festpreise.

Drei Prozent Aufschlag auf den Einkaufspreis, plus 8,51 Euro pro Packung, zuzüglich Umsatzsteuer – das darf und muss der Offizinbetreiber nehmen, nicht mehr und nicht weniger. (Und nur fürs Protokoll: So wenig ist das nicht.)

Seit dem gestrigen Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist klar, dass sich ausländische Versandapotheken, wenn sie nach Deutschland liefern, nicht an dieses Margenkorsett halten müssen. Sie dürfen, was DocMorris immer wollte, Rezept-Boni geben.

Handelshemmnis statt Gefahr für die Versorgung

Laut EuGH stellt die deutsche Rx-Preisbindung für ausländische Anbieter ein Handelshemmnis dar. Solche Hemmnisse lassen sich – und das hat der EuGH aktuell auch ausdrücklich bestätigt – durch Anforderungen des Gesundheitsschutzes zu Lasten des freien Warenverkehrs rechtfertigen.

Allerdings ließ der EuGH die von der Bundesregierung vorgebrachte Argumentation, ein Preiswettbewerb im Verordnungsmarkt gefährde die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch regionale Präsenzapotheken, nicht ungeprüft passieren.

Der Vortrag hätte ja gezogen, so sinngemäß der EuGH in der Urteilsbegründung, wenn statistische Daten oder andere Belege erhärtend beigebracht worden wären. Wurden sie aber nicht. Mit der bloßen Behauptung wollten sich die Europarichter nicht abspeisen lassen.

Nicht alle haben Angst vor Veränderung

Was ist nun so schlimm daran, wenn wirtschaftlich starke Marktteilnehmer Patienten auch mit pekuniären Vorteilen locken? Chroniker haben hohe Zuzahlung zu leisten, von ergänzenden OTC-Ausgaben ganz zu schweigen.

Außerdem haben auch unter der Rx-Preisbindung schon etliche Landapotheker das Handtuch geworfen. Die Marge allein macht es nicht. Wo keine Ärzte sind, macht keiner eine Apotheke auf.

Zweitens: Schon 2007 wollte Schwarz-Rot das Festpreissystem durch ein Höchstpreissystem ablösen, also Rx-Rabatte ermöglichen. Auch wenn es der Branchenlobby in letzter Minute gelang, das Vorhaben abzuwenden – tummelten sich seinerzeit etwa nur verantwortungslose Sektierer im Parlament, gar eingefleischte Gegner freiberuflichen Pharmazeutentums?

Und zum Dritten: Die Apothekerschaft ist keineswegs so schwachbrüstig aufgestellt, wie die ABDA-Lyrik bei jeglicher Gelegenheit gern glauben machen möchte. Vor zwei Jahren revidierte der Verband seine alljährliche Präsentation der Branchenbilanz.

Wirtschaftliche Erfolge verheimlicht

Bis dato hatte man immer die "typische Apotheke" in den Blick gestellt; das meinte die am häufigsten vorkommende Umsatzgrößenklasse. Doch aus Gesundheits- und Wirtschaftsministerium wurde bei Honorarverhandlungen die Kritik immer lauter, diese Darstellung kehre die wirtschaftlichen Erfolge der Branche unter den Teppich.

Seitherberichtet die ABDA auf Basis des durchschnittlichen Apothekenumsatzes. Tatsächlich hat die Anzahl der besonders einkommensstarken Betriebe über die Jahre stetig zugenommen.

So fielen denn auch die ersten Reaktionen auf das EuGH-Urteil selbst unter den Betroffenen durchwachsen aus: Während ABDA und Landesverbände in altbewährter Manier gleich das ganze "nationale Gesundheitssystem" auf der Kippe wähnen, bewies der MVDA, eine der ältesten und größten Apothekenkooperationen, Sportlichkeit: "Auf alle Herausforderungen, die die zahlreichen marktregulativen Eingriffe für die stationäre Apotheke mit sich gebracht hatten, hatte unsere Kooperation immer Antworten".

Sogar die deutschen Versandapotheken, die sich zunächst weiterhin an die Rx-Preisbindung halten müssen, zollten der nach aller Wahrscheinlichkeit jetzt rapide erstarkenden Konkurrenz aus den Niederlanden Respekt. "Wir haben keine Angst vor Veränderung. Ein bisschen frischer Wind tut der gesamten Apothekenbranche gut", heißt es in einer Mitteilung des Versandapothekenvereins BVDVA.

"Die Versorgungssicherheit" sei "durch die Gewährung von Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht gefährdet."

Kompromiss-Modell des BGH

Wie es jetzt weitergeht? Besonders phantasielose Zeitgenossen fordern, um die Arzneimittelpreisbindung zu retten, bereits wieder ein generelles Verbot des Rx-Versands. Mit einem entsprechenden Vorschlag erlitt zuletzt Bayern 2012 im Bundesrat Schiffbruch.

Nach inzwischen 12 Jahren reibungslos funktionierender Versandwirklichkeit dürfte, so sehen es viele Juristen, ein Verbot schon verfassungsrechtlich chancenlos sein, europarechtlich allemal.

Vielleicht greift man jetzt auf ein Modell des Bundesgerichtshofs zurück. Der hatte 2010, bevor der Gesetzgeber Rezept-Rabatten endgültig einen Riegel vorschob, Rx-Boni in geringer Höhe erlaubt und 2013 diese Bagatellgrenze auf drei Euro pro Rezept konkretisiert.

 Ein Zugaben-Deckel, mit dem die meisten leben können und notfalls noch ein Strukturzuschlag für die letzte Offizin hinter dem Landtechnikhandel links? Warum eigentlich nicht.

christoph.winnat@springer.com

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