Landessozialgericht Baden-Württemberg

Betreuung von Pflegeheimpatienten kann „Praxisbesonderheit“ sein – muss es aber nicht

Um Praxisbesonderheiten geltend zu machen, müssen Vertragsärzte aber einen erhöhten Behandlungsbedarf auch nachweisen können.

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Wer viel aufschreibt, ist gut beraten, das bei Bedarf anhand harter Zahlen auch begründen zu können.

Wer viel aufschreibt, ist gut beraten, das bei Bedarf anhand harter Zahlen auch begründen zu können.

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Stuttgart. Ein niedergelassener Arzt kann die Überschreitung seines Richtgrößenvolumens mit der Betreuung älterer Patienten eines Pflegeheims begründen. Um für sich eine „Praxisbesonderheit“ reklamieren und mögliche Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungen verhindern zu können, muss er aber den erhöhten Behandlungsbedarf nachweisen, so das Landessozialgericht Baden-Württemberg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil zur Klage zweier Fachärzte für Allgemeinmedizin.

Die niedergelassenen Vertragsärzte waren bis 2022 in einer BAG tätig. 2013 verordneten sie bei insgesamt 12.377 Behandlungsfällen Arznei- und Verbandmittel in Höhe von über 1,4 Millionen Euro (brutto). Damit lagen sie weit über dem für sie erwartbaren Richtgrößenvolumen von rund einer Million Euro.

Fast 28.000 Euro zurückgefordert

Die Prüfungsstelle der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen Baden Württemberg prüfte die Wirtschaftlichkeit der Verordnungen. Dies sei angezeigt, wenn Ärzte ihr Richtgrößenvolumen um mehr als 15 Prozent – hier 28,056 Prozent – überschritten haben. Das Verordnungsverhalten könne auch nicht durch „Praxisbesonderheiten“ erklärt werden. Abzüglich Apotheken- und Herstellerrabatten ergab sich schließlich ein Nettoregress über 27.849 Euro. Da erstmalig das Richtgrößenvolumen überschritten wurde, wurde kein Regress festgesetzt. Stattdessen erhielten die Ärzte ein förmliches Beratungsschreiben, wie sie künftig ihre Verordnungen begrenzen können.

Ohne Erfolg hatten die Ärzte ihre Verordnungen verteidigt. Ihr Schwerpunkt liege im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie und Gerontopsychiatrie. Die Behandlung dieser Patientengruppe stelle eine „Praxisbesonderheit“ dar, die mit einem erhöhten Verordnungsbedarf einhergehe. Dies sei etwa bei der Wundversorgung der Fall. Auch würden bis zu 60 Patienten in Pflegeheimen betreut. Sie erhielten vermehrt Antidementiva.

Nur 1,6 Prozent Pflegeheimbewohner

Das LSG wies ihre Klage ab. Zwar könne die Betreuung älterer Patienten in einem Pflegeheim eine „Praxisbesonderheit“ sein, die ein Überschreiten des Richtgrößenvolumens begründen könne. Es müsse aber ein tatsächlich erhöhter Behandlungsbedarf nachgewiesen werden. Die betreuten Pflegeheimbewohner machten hier nur 1,6 Prozent der gesamten Patientenzahl aus. Dies sei für eine hausärztliche Praxis „nicht übermäßig hoch“.

Die Opioid-Verschreibungen hätten im Fachgruppenvergleich sogar unter dem Durchschnitt gelegen. Da keine Praxisbesonderheit vorliege, habe die Prüfungsstelle sie über künftige wirtschaftliche Verordnungen beraten dürfen. (fl)

Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 5 KA 3043/21

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