Medizinprodukte-Engpässe

CSU-Europaabgeordnete: Parlament macht bei MDR Druck auf Kommission

Die novellierte EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) führt bereits zu tödlichen Versorgungsengpässen. Die Kommission soll endlich handeln, fordern Abgeordnete und Ärzte beim Ortstermin in München.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Professor Nikolas Haas (r.) ,Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin, informiert Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler im Kinder-Herzkatheterlabor der Ludwig-Maximilians-Universität in München über bestehende und zu erwartende Engpässe bei den teils Nischen-Medizinprodukten, auf die die Kinderkardiologen für ihre Patienten angewiesen sind.

Professor Nikolaus Haas (r.) ,Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin, informiert Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek und die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler im Kinder-Herzkatheterlabor der Ludwig-Maximilians-Universität in München über bestehende und zu erwartende Engpässe bei den teils Nischen-Medizinprodukten, auf die die Kinderkardiologen für ihre Patienten angewiesen sind.

© Thomas Körbel/stmgp

München/Berlin/Brüssel/Straßburg. Trotz der Mitte Oktober seitens der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides geäußerten bekundung, angesichts bereits massiv auftretender, auch lebensrelevanter Marktrücknahmen von Medizinprodukten nochmals die zum 26. Mai 2021 in Kraft getretenen EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) aufzubohren, hat sich in Brüssel offensichtlich noch immer nichts getan, wie die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU) am Freitag in München bei einem gemeinsamen Besuch mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Kinder-Herzkatheterlabor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) monierte.

„Mit einer Anfrage im Europäischen Parlament wollen wir die Europäische Kommission erneut auffordern, die Revision der Medizinprodukteverordnung unverzüglich anzugehen und sich dazu öffentlich zu äußern. Es ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Bereits vor einem Jahr haben wir die Kommission auf die katastrophale Lage bei der Versorgung mit Medizinprodukten aufmerksam gemacht. Passiert ist nichts. Es braucht jetzt eine schnelle Verbesserung, deshalb muss die Europäische Kommission jetzt endlich einen Vorschlag vorlegen. Ich habe bereits das ‚Grandfathering‘ empfohlen, wonach bisherige Zulassungen von Nischenprodukten bestehen bleiben und keine Neuzertifizierungen notwendig sind“, erläuterte Niebler.

Unterdessen hat Kyriakides am Donnerstag in Straßburg während einer Aussprache im EU-Parlament auch im Beisein von Niebler bekundet, die Kommission wolle bis zu der am 8. Dezember anberaumten EPSCO-Sitzung der nationalen Gesundheitsminister in Brüssel abwarten, bevor sie in puncto MDR aktiv werde. Derweil arbeite aber die zuständige Koordinierungsgruppe Medizinprodukte bei der EU-Kommission (MDCG/Medical Device Coordination Group) an einem praxistauglichen Ausweg aus der Misere. „Wir prüfen gesetzgeberische Maßnahmen wie die Änderung der Verordnung, um die Gefahr von Engpässen bei kritischen Medizinprodukten abzuwenden, und wir konsultieren bereits alle relevanten Interessengruppen als Teil dieser Bewertung“, versicherte Kyriakides.

Holetschek: Lebensgefährliche Situation für Patienten

Holetschek verwies auf die gemeinsam mit Baden-Württemberg – beide Länder sind zugleich die größten Medizintechnikstandorte in Deutschland – in den Bundesrat eingebrachte und auch angenommene Initiative, mit der der Bund aufgerufen wird, Gespräche mit der Europäischen Kommission aufzunehmen, um die Umsetzung der MDR zu verbessern. „Geschehen ist auf europäischer Ebene seither nichts, da die Kommission, die allein das Initiativrecht für Änderungen der MDR hat, noch abwarten will“, echauffierte sich Holetschek warnte erneut vor Versorgungsengpässen mit lebenswichtigen Medizinprodukten. „Wir steuern in Deutschland wie in der gesamten Europäischen Union auf einen gefährlichen Versorgungsengpass bei Medizinprodukten zu. Das ist für betroffene Patientinnen und Patienten eine lebensbedrohliche Situation“, verdeutlichte der Minister den Handlungsdruck, unter dem die Akteure in Brüssel und Berlin – eigentlich – stünden. Er verband dies mit dem Hinweis darauf, dass die Situation für die Kinder besonders schlimm sei, sie aber zunehmend auch Medizinprodukte für Erwachsene betreffe.

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Professor Nikolas Haas, an der LMU Direktor der Klinik für Kinderkardiologie und pädiatrische Intensivmedizin, attestierte dem politischen Maschinenraum der EU – Kommission, Parlament und Rat – bei der MDR das Ziel komplett verfehlt zu haben. Seine Abteilung ist mit interventionellen Verfahren bei angeborenen Herzfehlern, pädiatrischer Intensivtherapie und angrenzenden Gebieten, thorakaler Organtransplantation, kreislaufunterstützenden Systemen, Bildgebenden Verfahren der Kardiologie und angrenzenden Gebiete inklusive Paleokardiologie in extenso auf Medizintechnik und -produkte angewiesen. Für die Hersteller lohnt es sich aber bei geringer Stückzahl angesichts der hohen Zulassungsanforderungen und -kosten nicht mehr, vor allem Nischenlösungen im EU-Markt zu halten. Erschwerend kommt hinzu, dass die allermeisten Unternehmen bereits mit der Jahresplanung für 2023 abgeschlossen haben dürften.

„Dieses neue Gesetz ist eine komplette Fehlkonstruktion, es ist extrem schlecht gemacht und muss eigentlich sofort gestoppt und komplett neu überdacht werden. Die Absicht, dadurch die Patientensicherheit zu erhöhen, trifft gerade nicht zu. Aufgrund unverständlicher Zulassungsverfahren müssen jetzt alle Produkte alle fünf Jahre neu zugelassen werden, auch wenn diese seit Jahrzehnten mit exzellenten Ergebnissen verwendet werden. Es gehen uns nach und nach die wichtigen Produkte aus, und dadurch sterben schon jetzt in Europa Kinder“, bilanzierte Haas.

Anbieter aus den USA und China als einzige Profiteure der Situation

Ärzte in Deutschland betrieben eine Medizin wie vor rund 20 Jahren. Die MDR in ihrer jetzigen Fassung wirke letztendlich als Innovationskiller für deutsche und andere europäische Anbieter. „Forschung und Entwicklung dieser Produkte wird damit in Deutschland – und Europa – verhindert. Es profitieren große amerikanische Firmen, die viel einfachere, kostengünstigere und vor allem verlässliche Zulassungsverfahren haben und letztendlich profitiert besonders China. Zusätzlich vervielfachen sich die Kosten für die Behandlungen und wir steuern auf amerikanische Preise zu. Leider sind die Bürokraten in Brüssel – und teilweise auch unser Bundesministerium – völlig uneinsichtig und weigern sich, mit uns Anwendern zu reden oder gar auf uns zu hören, obwohl wir schon seit ca. zwei Jahren auf diese Entwicklung hingewiesen haben“, ließ Haas seinem Frust freien Lauf.

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