Hintergrund

Der endgültige Praxistest bei den AKR steht noch aus

Der Widerstand gegen die Ambulanten Kodierrichtlinien scheint in der Ärzteschaft ungebrochen zu sein. Doch Erfahrungen von Softwareunternehmen zeigen, dass die ersten Ärzte sich in die neue Kodierung einarbeiten - und teils besser zurechtkommen, als von vielen erwartet.

Kerstin MitternachtVon Kerstin Mitternacht Veröffentlicht:
Zankapfel Kodierrichtlinien: Softwareanbieter berichten von unterschiedlichen Erfahrungen mit den AKR in der Praxis.

Zankapfel Kodierrichtlinien: Softwareanbieter berichten von unterschiedlichen Erfahrungen mit den AKR in der Praxis.

© Kzenon / fotolia.com

Die Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) kommen nicht aus den Schlagzeilen. Dabei ist zuletzt ein wenig aus dem Blickfeld geraten, wie die Ärzte in den Praxen tatsächlich mit dem Thema umgehen. Die Softwareunternehmen berichten auf Anfrage von unterschiedlichen Erfahrungen und Rückmeldungen ihrer Kunden.

Beim Koblenzer Healthcare-IT-Anbieter CompuGroup Medical (CGM) arbeitet nach eigenen Angaben schon mindestens jeder zweite Arzt mit den neuen Kodierrichtlinien. "Die Ärzte sind von der neuen Regelung zwar nicht begeistert, sehen sie eher als ein notwendiges Übel", berichtet Michael Franz, Pressesprecher bei CompuGroup Medical.

Bei Rückfragen von Ärzten gehe es meist um die reine Bedienung und das Ein- und Ausschalten der verschiedenen Stufen, so Franz. "Der Aufwand scheint sich aber in unserer Software doch in Grenzen zu halten."

Beschlüsse der Vertreterversammlung der KBV zu AKR

Folgende Beschlüsse zu den AKR wurden bei der KBV-VV im Dezember 2010 gefasst:

Antrag auf Aussetzung der Anwendung der Kodierrichtlinien von Dr. Conrad (Hausärzteverband) aus der KV Hessen: mit großer Mehrheit abgelehnt.

Antrag auf "Überarbeitung der Kodierrichtlinien" u. a. von Dres. Brautmeier, Potthoff, Thamer, Dryden aus den KVen Nordrhein und Westfalen-Lippe. In der Begründung heißt es, dass das Ergebnis der Überarbeitung sein soll, dass die Ärzte nachvollziehen können, warum die Richtlinien konkret so ausgestaltet wurden und welchem Zweck sie dienen sollen. Außerdem soll die Handhabung und die Umsetzbarkeit in der Praxis verbessert werden: mehrheitlich angenommen.

Antrag auf "Überarbeitung der Kodierrichtlinien (Änderung)" von Dres. John und Feldmann aus den KVen Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dort heißt es, dass die Kodierrichtlinien an die Bedürfnisse der Praxis, insbesondere im hausärztlichen Bereich, angepasst werden sollen: mehrheitlich angenommen.

Antrag auf "Stopp der Einführung der Ambulanten Kodierrichtlinien" von Dres. Dietsche, Herz et al. aus mehreren KVen in Süddeutschland. Im Antrag wird gefordert, dass die AKR in ihrer jetzigen Form gestoppt werden. Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt.

Ein anderes Bild ergibt sich nach den Erfahrungen bei Frey ADV (Quincy win). Vereinzelt informierten sich Ärzte über die neue Regelung, aber nur sehr wenige würden auch schon wirklich damit arbeiten. "Die Ärzte scheinen erst einmal abzuwarten", so der Eindruck von Geschäftsführer Lars Wichmann.

Etwa drei Prozent der Kunden arbeiteten bereits mit den AKR. "Für eine erste richtige Zwischenbilanz ist es daher noch zu früh", sagt Wichmann, "aber das, was wir vereinzelt hören, ist, dass die Ärzte doch besser zurecht kommen, als wir erwartet haben." Zurzeit besuchen viele Kunden von Frey noch Schulungen, die zu den AKR angeboten werden.

Bei dem genossenschaftlich organisierten Softwarehaus Duria gibt es auch aus einzelnen Praxen erste Rückmeldungen, berichtet Dr. Erich Gehlen vom Duria-Team. Ärzte, die sich schon mit den neuen Richtlinien beschäftigen, geben an Duria Verbesserungswünsche durch, die dann nach und nach umgesetzt werden sollen, so Gehlen.

Das Regelwerk lässt sich außerdem ein- und wieder ausschalten, so dass Ärzte die Möglichkeit haben, sich individuell auf die neuen Vorgaben einzustellen.

Vor allem über die fehlende Ausschaltfunktionalität in der AKR-Software, die zunächst von der KBV nicht vorgesehen war, hatte es bei vielen Ärzten Irritationen gegeben. Ängste, nicht wieder ausschalten zu können, sind nach Wichmann auch ein Grund für die momentane Zurückhaltung der Ärzte.

Und dies, obwohl die meisten Softwareunternehmen diese Funktion längst eingebaut haben und das Ausschalten in der Übergangsphase auch tatsächlich funktioniere. So wie es auch von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gefordert worden war.

Auch umgesetzt wurde etwa der Beschluss, dass während der Übergangsphase keine Kodierprüfung im Rahmen des Abrechnungprüfmoduls stattfindet darf, wie aus dem Schreiben von KBV-Chef Dr. Andreas Köhler an die Vorstände der KVen hervorgeht (wir berichteten).

Die politische Auseinandersetzung geht derweil weiter. Die Gegner der AKR hatten sich in der Vertreterversammlung der KBV im Dezember nicht durchsetzen können und erreichten lediglich, dass Richtlinie nachgebessert werden soll (siehe Kasten).

Insgesamt elf Kassenärztliche Vereinigungen und etliche Berufsverbände haben sich seitdem gegen die Kodierrichtlinien in ihrer jetzigen Form ausgesprochen. Die Petition gegen die AKR im Bundestag haben nach Angaben der Freien Ärzteschaft mittlerweile fast 150.000 Menschen unterzeichnet. Damit würde die Petition nun im Petitionsausschuss des Bundestages bearbeitet - Ergebnis offen.

Die Hauptkritikpunkte der Gegner an den AKR sind unter anderem:

• mehr bürokratischer Aufwand • weniger Zeit für die Patienten, • Datenschutzfragen noch offen

Vergessen werde in der Diskussion oft, dass die Kodierrichtlinien gesetzlich vorgeschrieben sind, das machte KBV-Chef Köhler in seinem Schreiben vergangene Woche deutlich. Denn die möglichen Konsequenzen, wenn die Kodierrichtlinien noch einmal aufgeschoben oder ganz ausgesetzt werden, wären erhebliche Nachteile bei der Vergütung der Ärzte, so Köhler.

Lesen Sie dazu auch: Erste Zwischenbilanz bei Kodierrichtlinien

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Alle Karten auf den Tisch

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 15.02.201110:34 Uhr

@ Dr. Jürgen Schmidt

Herr Kollege Schmidt, Sie haben da ''was falsch verstanden: "Unmut" ist nicht die Rationale meines Handelns und Kommentierens. Die KBV hat kein Handlungskonzept, um die Asymmetrie von vertragsärztlichen Vorleistungen und fehlender i n h a l t l i c h e r Kompensation durch die anderen GKV-Partner zu überwinden. Das ist der wesentliche Knackpunkt, den sie offensichtlich als Status Quo nicht verändern wollen oder können.

Übrigens, danke für den Begriff "Chefkommentatoren", aber ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM DO

Dr. Jürgen Schmidt 15.02.201109:58 Uhr

Unmut ist kein Handlungskonzept

KBV-Bashing scheint unter Chefkommentatoren en vogue.

Nicht immer wird damit auch Kompetenz beweisen, zumal dann, wenn die erheblich eingeschränkten Möglichkeiten einer Körperschaft Öffentlichen Rechtes, sich staatlichen Vorgaben zu entziehen, außer Acht gelassen werden.
Bei den Kodierrichtlinien liegt diese Situation vor. Die KBV-VV hat imm Rahmen Ihrer Möglichkeiten verantwortlich beschlossen, was möglich ist, ohne den Karren in den Dreck einer ministeriellen Ersatzvornahme zu steuern.

Allerdings ist der KBV-Chef nicht gehalten, jeden Unsinn aus den Amtstuben, vorliegend die unausweichliche Verknüpfung von morbiditätsbelegten Honorarzuwächsen und ausdifferenzierter Kodierung zu wiederholen.
Bei angenommenen 100 Mio Behandlungsfällen mit mehreren Kodierungen entstehen hoch aggregierte Datensätze, die sich vernünftigerweise nur weiter verarbeiten lassen, wenn man jedes Jahr parallel eine Volkszählung durchführt, um den demografischen Faktor zu implementieren.
Kurzum, das Morbiproblem löst man statistisch und mit geeigneten Stichproben, bei denen man die Kodierungen auch wirklich überprüfen kann und nicht mit Massenerhebungen.

Sozialstaatliche Demokratie mit dem Ziel der Verteilungsgerechtigkeit funktioniert zwar nur mit ausdifferenzierten Regeln und Bürokratie (hier als wissenschaftlicher Begriff gemeint), läuft aber immer Gefahr, den Erstickungstod durch Überregulierung und Ineffizienz zu erleiden. An diesem Punkt sind wir angelangt, nicht nur in der Krankenversorgung.

Nun gilt es aber, die eigentlichen Ursachen der Machtlosigkeit unserer Interessenvertretung zu benennen, denn diese resultiert nicht zwangsläufig aus dem Status einer KÖR, wie die bis 1982 erfolgreiche Vergangenheit beweist. Die Schlagkraft der KBV (auch der BÄK) ist von innen durch divergierende Gruppeninteressen ausgehöhlt worden und nicht durch einen übermächtigen Staat (der auf dem Sozialsektor eh nichts mehr gebacken kriegt).

Diese Zusammenhänge sollten Kommentatoren bedenken, wenn Sie ein Forum nutzen, das sich zur Politisierung der Kollegen eignet, aber auch zur Perseveration unausgegorener und irreführender Meinungen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 15.02.201108:16 Uhr

Die Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR): Intensivkodierung und Mehrarbeit "alternativlos"?

In der Einleitung dieses Artikels heißt es so schön, "dass die ersten Ärzte sich in die neue Kodierung ein a r b e i t e n"! Niemand, der g e g e n die Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) ist, verweigert sich der ärztlichen Arbeit.

Doch schon unter Medizinstudenten fragt man, wenn einem der Professor das Telefonbuch unter die Nase hält, nicht wie im Philosophie-Seminar: "Ey, Alter, was soll'' n das werden?" sondern "bis wann soll ich das auswendig lernen, Herr Professor?"

Dass die AKR dazu dienen, irgendwann einmal das derzeitige RLV- Pauschal- und Budgetsystem zu Gunsten einer morbiditätsorientierten (Pauschal?)- Vergütung abzulösen, glaubt vermutlich nur noch Herr Kollege, Dr. med. Andreas Köhler, Chef der KBV. Tatsache ist, dass wir Ärztinnen und Ärzte bis dahin in Vorleistung treten, die Mehrkosten und den Aufwand dieser Intensivkodierung alleine tragen, während sich die Chefs der Gesetzlichen Krankenkassen bequem zurücklehnen können.

Vorleistungen, die wir mit Pauschalierung, Budgetierung, Praxisgebühr-Inkasso, E-Card, elektronischem Arztausweis etc. bisher erbringen und auf unseren Kosten sitzen bleiben mussten. Von Rabattverträgen und massenweise Praxisrückfragen, Qualitätssicherungsaufwand, Fortbildungspflicht mit Barcode-Stigmatisierung bzw. Regressandrohungen ganz zu schweigen.

Unsere einzige Möglichkeit, der überbordenden Bürokratie Einhalt zu gebieten, ist g e g e n die AKR zu votieren. Die Online-Petition im Deutschen Bundestag demokratisch zu nutzen: Bei epetitionen.bundestag anmelden, registrieren lassen, Passwort eingeben und gegen die AKR, dem Lieblingsprojekt der KBV ("Könner Beten Vor") mitzeichnen

https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=15520
oder
http://bit.ly/ebTs0N

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen, Ihr Thomas G. Schätzler, FAfAM DO

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