Kommentar zur Digitalisierung
Kehrtwende, jetzt!
Das politische Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens frustriert viele Ärzte. Zeit, diese endlich mitzunehmen.
Veröffentlicht:Für viele ist der Begriff „Digitalisierung“ vom facettenreichen Schlagwort zum Unwort geworden. Ärztinnen und Ärzten, die sich grundsätzlich offen zeigen, sinnvolle Prozesse in Versorgung und Praxisorganisation digital zu gestalten, sind frustriert und verärgert. Nicht über die Digitalisierung als solche – sie hat längst im Alltag eines jeden Einzug erhalten. Sie ist da, nicht zu bremsen und an vielen Stellen auch nicht mehr wegzudenken – weil sie den Alltag erleichtert.
Die Ärztinnen und Ärzte sind frustriert über die Art und Weise, wie die Gesundheitsversorgung digitalisiert wird. Das wird im Digitalisierungsreport 2021, den die DAK in Kooperation mit der „Ärzte Zeitung“ veröffentlicht hat, deutlich wie selten.
Ungewöhnlich häufig nutzten Teilnehmer die Gelegenheit, in einem Freitext-Feld ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung zu teilen. Fast 94 Prozent der kategorisierbaren Antworten fallen negativ aus. Einigen Befragten scheint regelrecht die Hutschnur zu reißen, so frustriert zeigen sie sich. Weil sie gezwungen sind, stör- und fehleranfällige Technik zu installieren. Weil Anwendungen zur Pflicht werden, die weder ausgereift sind, noch den Praxisalltag erleichtern. Weil die Hersteller der PVS-Systeme mit Updates nicht hinterherkommen. Weil sie sich nicht mitgenommen fühlen und ihnen das Tempo zu hoch ist.
Digitalisierungsreport 2021
Ärzte fühlen sich im Irrgarten der Digitalisierung allein gelassen
Tatsächlich wurde in der vergangenen Legislaturperiode unter Jens Spahn mächtig aufs Gaspedal gedrückt. Vier große Digitalgesetze wurden auf den Weg gebracht, gespickt mit neuen Anwendungen und engen Fristen. Zwischen Praxisalltag, Corona-Pandemie und Fachkräftemangel drängen mit hohem Tempo immer mehr Digital-Anforderungen in die Praxis. Spahns Digitalisierung auf der Überholspur fordert so immer mehr Opfer unter den Ärztinnen und Ärzten. Frust statt Freude.
Die neue Bundesregierung würde gut daran tun, auf die Bremse zu drücken und eine Kehrtwende an den Tag zu legen. Nicht, weil Deutschland sich in puncto Digitalisierung zurücklehnen könnte. Im Gegenteil. Der Nachholbedarf ist enorm, ein Moratorium die falsche Richtung.
Aber was bringt die Fahrt auf der Überholspur, wenn dabei die Passagiere vergessen werden? Wenn schon Überholspur, dann bitte mit einem Bus, in dem alle Platz haben: Ärztinnen und Ärzte, Fachpersonal, die Selbstverwaltung, Patienten und das Bundesgesundheitsministerium.
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