Diffizile Rechtslage

Kostenlose Tests für alle? Die KV Niedersachsen wagt sich vor

Komplizierte Abrechnungsbestimmungen, schwer vermittelbare Rechtslogik: Für Ärzte ist es nicht einfach, Patienten zu erläutern, wann sie einen SARS-CoV-2-Test aus eigener Tasche bezahlen müssen und wann nicht.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:
Wann muss ein Patient für den SARS-CoV-2-Test selbst Geld in die Hand nehmen? Hier den Überblick zu behalten fällt selbst Ärzten schwer.

Wann muss ein Patient für den SARS-CoV-2-Test selbst Geld in die Hand nehmen? Hier den Überblick zu behalten fällt selbst Ärzten schwer.

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Neu-Isenburg/Hannover. „Ist Malle jetzt plötzlich systemrelevant?“ postete Susanne Johna bereits Ende Juli auf Facebook. Der Vorsitzenden des Marburger Bundes (MB) wollte es nicht in den Kopf, dass „Reiserückkehrer auch aus Nicht-Risikogebieten kostenfrei getestet“ werden, medizinisches Personal aber „nur nach Genehmigung durch das Gesundheitsamt. Die Logik dahinter muss mir nochmal einer erklären“, fuhr Johna lakonisch fort.

Am Wochenende regte sich weitere Kritik an kostenlosen Tests, inzwischen bei der Rückkehr aus Risikogebieten zur Pflicht geworden. „Der Aufwand für selbst gewählte Risiken kann nicht ständig auf die Gesellschaft abgewälzt werden“, äußerte sich beispielsweise Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff Medienberichten zufolge.

KVN: „Wirklichkeitsfremde Bestimmungen“

Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen hat jetzt den Spieß umgedreht und dringt auf kostenlose PCR-Tests auf SARS-CoV-2 für alle Bürger. Sie begründet das – ähnlich wie Johna – mit der unübersichtlichen Gemengelage und der fehlenden Logik, wann ein Test für einen Patienten kostenlos und wann er kostenpflichtig sein sollte.

Die Abrechnungsbestimmungen bei der Durchführung von Corona-Tests seien „wirklichkeitsfremd und abstrakt“, heißt es in einer Mitteilung der KVN von Freitag. „Sie widersprechen der medizinischen Gesamtlage, aber auch dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden vieler Patienten und Ärzte“, so der stellvertretende KVNVorstandsvorsitzende Dr. Jörg Berling laut Mitteilung. „Corona-Tests sollten generell kostenlos sein“, resümiert Berling.

In der Mitteilung werden dann einige Szenarien gezeigt, die die KVN an einer stringenten Logik in der Kostenfrage zweifeln lassen:

  • Urlaubsreisen: Im In- und Ausland verlangten viele Hotels von anreisenden Gästen einen negativen Corona Test. Den müssten sie aus ihrer Reisekasse finanzieren. Kämen Sie aber aus dem Urlaub zurück, dürften oder müssten Sie sich wieder testen lassen – dann aber für Auslandsrückkehrer kostenlos. Wer dagegen aus dem Inland heimkehre, habe keinen Anspruch auf einen Test – auch wenn er sich vielleicht in der Nähe eines Corona-Hotspots einquartiert hatte.
  • Test vor Op: Soll ein Kind für eine Operation im Krankenhaus aufgenommen werden, müsse das Krankenhaus den Corona Test als Teil der stationären Behandlung vornehmen. Die erwachsene Begleitperson dagegen, die vielleicht im Krankenhaus übernachten möchte, müsse den geforderten Test selbst bezahlen. Werde die Operation wiederum ambulant durchgeführt, sei der vorherige Corona-Test generell eine Privatleistung.
  • MFA: Wenn Medizinische Fachangestellte, so die KV weiter, einen negativen Testnachweis erbringen müssen, um in ihrer Praxis weiterarbeiten zu können, müssten sie den Test ebenfalls aus eigener Tasche bezahlen. Werde aber einem Mitarbeiter über die Corona-Warn-App ein „erhöhtes Risiko“ angezeigt, sei der Test eine Kassenleistung und müsse vom örtlichen Gesundheitsamt organisiert werden.

Hätte er gehustet ...

  • Patienten in der Pflege: Wie schnell Patienten in ein wirklichkeitsfremdes Getriebe von Fallunterscheidungen geraten können, mache der Fall eines Pflegebedürftigen deutlich, der von seinen Angehörigen in die Kurzzeitpflege gegeben werden sollte. Die Pflegeeinrichtung habe hier einen Corona-Test verlangt, den der Patient selbst zu zahlen hatte. Zwar stelle die Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministers in solchen Fällen einen kostenlosen Test in Aussicht. Hier komme es aber auf die Einschätzung der epidemiologischen Lage durch das örtliche Gesundheitsamt an. Nur wenn dieses eine allgemeine Gefährdung durch die Pandemie im Landkreis feststelle, werde der Test aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Das sei in diesem Fall aber nicht gegeben gewesen. Hätte der Patient dagegen gehustet, hätte wegen Infektionsverdachts die Krankenkasse den Test natürlich sofort bezahlt, erläutert die KV.

Ärzte in der Schusslinie

KV-Vize Berling fürchtet, dass in solchen, schwer vermittelbaren Fällen vor allem die Ärzte in die Schusslinie geraten: Denn am Ende seien die Ärzte diejenigen, die ihren Patienten erklären müssen, ob sie den Test nun bezahlen müssen oder nicht.

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