Saarland

Krisenkommunikation mangelhaft!

Mord, Missbrauch, folgenschwere Fehldiagnosen? Nicht nur die drei Verdachtsfälle selbst schrecken das Saarland auf. Auf Unverständnis stoßen vor allem die kommunikativen Fehler.

Von Michael Kuderna Veröffentlicht:
Krisenkommunikation mangelhaft!

© [M] ivector / stock.adobe.com | Ärzte Zeitung

Saarbrücken. Ein krimineller Pfleger unter Mordverdacht, Informationschaos rund um Missbrauchsvorwürfe gegen einen Assistenzarzt und ein Pathologe mit Suchtproblemen, der Fehldiagnosen gestellt und damit unnötige Operationen ausgelöst haben soll – das Gesundheitswesen im Saarland wird derzeit gleich von drei skandalträchtigen Fällen erschüttert.

Obwohl die drei Komplexe völlig unterschiedlich erscheinen, so haben sie doch auch Gemeinsamkeiten: In jedem dieser Fälle offenbaren sich neben individuellem Fehlverhalten auch organisatorische und kommunikative Defizite, Angst vor Transparenz, strukturelle Probleme und Zweifel an der Sinnhaftigkeit beziehungsweise Effizienz von Kontroll- und Sanktionsmechanismen.

Der erste öffentlich gewordene Skandal reicht mindestens bis ins Jahr 2010 zurück. Ein Assistenzarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Unikliniken in Homburg soll bis zu seiner Kündigung 2014 unnötige Untersuchungen im Genitalbereich durchgeführt haben (wir berichteten). Als Jugendtrainer eines Judo-Vereins soll er ebenfalls übergriffig geworden sein. Zudem fand man 2015 bei einer Durchsuchung seiner Wohnung kinderpornografisches Material. Da der Arzt ein Jahr später im Alter von 36 Jahren starb, wurden strafrechtliche Ermittlungen eingestellt.

Kammer sah sich nicht in der Pflicht

Skandalös erscheint vor allem der Umgang mit dem Fall. Der Klinikleiter hatte zwar nach den ersten Verdachtsmomenten unter anderem angeordnet, dass der Assistenzarzt Kinder nicht mehr allein behandeln dürfe, doch wurde die Einhaltung derartiger Maßnahmen anscheinend nicht überprüft. Die Ärztekammer wurde nach eigenen Angaben von der Klinik Ende 2014 informiert und riet zu arbeitsrechtlichen Schritten, betrachtete sich aber nach dem Wechsel des Beschuldigten an eine Klinik in Kaiserslautern als nicht mehr zuständig. Jugendämter hatten anscheinend sogar schon viele Jahre vorher Hinweise auf die Neigungen des Mannes, doch auch dies blieb offenbar ohne Konsequenzen.

Die Klinikleitung tat nach der Kündigung des Mediziners alles, um die Vorgänge unter den Teppich zu kehren. Sie informierte weder den Aufsichtsrat, noch Gesundheits- und Wissenschaftsministerium und auch nicht die Eltern der möglicherweise betroffenen Kinder. Dies erfolgte erst dieses Jahr, nachdem die Medien berichtet hatten.

Sonderermittler eingesetzt

Der Gesamtkomplex beschäftigt nun einen Sonderermittler in der Staatskanzlei und einen Untersuchungsausschuss des Landtages. Er soll Verhalten und strukturelle Probleme aller Beteiligten unter die Lupe nehmen, also der Uniklinik, der Landesregierung, der Jugendämter und Behörden sowie der Ärztekammer. Parallel dazu überprüft eine Kinderschutzkommission die einschlägigen Regeln und Konzepte.

Komplexe Fragen wirft auch der zweite Fall auf. Im Mittelpunkt: ein examinierter Pfleger unter Mordverdacht. Daniel B. soll 2015 und 2016 Patienten, um sie reanimieren zu können, teils tödliche Medikamentendosen verabreicht haben (wir berichteten). Nach Exhumierungen legt ihm die Staatsanwaltschaft derzeit fünf Morde und zwei Mordversuche zur Last, es wird aber weiter ermittelt. Da der 27-Jährige noch bis März 2021 eine Haftstrafe wegen Betrugs und Diebstahls absitzen muss, geht von ihm momentan keine weitere Gefahr aus. Eine erste Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Titelmissbrauchs erfolgte im Dezember 2016. Daniel B. hatte sich an mehreren Orten als Notarzt ausgegeben. Entsprechend der „Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen“ (MiStra) wurde das Gesundheitsministerium informiert, im weitaus gewichtigeren Betrugsverfahren jedoch nicht, obwohl ihm in dem Prozess eine Gutachterin eine erhebliche Persönlichkeitsstörung attestiert hatte. Die Staatsanwaltschaft vertritt noch heute die Auffassung, der Tatvorwurf sei nicht geeignet, „Zweifel an der Eignung, Zuverlässigkeit oder Befähigung“ hinsichtlich des Pflegeberufs hervorzurufen.

Hohe Hürden für Sanktionen

Tatsächlich hat das Landesamt für Soziales als Approbationsbehörde nur wenig Eingriffsmöglichkeiten. Es führt selbst keine eigenen Ermittlungen durch, ist mit nur einer Juristin personell schwach aufgestellt und kann – das ist der entscheidende Punkt – im Pflegebereich im Gegensatz zum Arztrecht kein Ruhen der Berufserlaubnis oder sonstige niedrigschwellige Sanktionen verfügen. In Frage kommt nur ein gänzliches Berufsverbot. Seltsamerweise könnten Gerichte in Strafverfahren durchaus befristete Berufsverbote verhängen, machen jedoch von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch. Ein weiterer Aspekt: Gäbe es eine Pflegekammer im Saarland, müsste nach MiStra – analog zu den Ärztekammern bei Medizinern – auch diese informiert werden. Neue Interventionsmöglichkeiten wären dann denkbar.

Große Defizite zeigten sich beim Informationsfluss vonseiten der Krankenhäuser: Die SHG-Klinik in Völklingen, wo Daniel B. 16 Monate beschäftigt war, beließ es trotz Auffälligkeiten bei einer Kündigung, bescheinigte ihm im Zeugnis eine befriedigende Arbeitsleistung und informierte die Polizei nicht. In diesem Fall machte es die Uniklinik besser: als der Intensivpfleger wegen Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenvergabe auffiel und wegen Diebstahls nach nur wenigen Arbeitstagen gekündigt wurde, erfolgte auch eine Anzeige. Die Krankenhausaufsicht erfuhr von all dem nichts, da es nach ihren eigenen Angaben „nach dem saarländischen Krankenhausgesetz keine Meldepflicht für einen begründeten Verdacht wegen des Verstoßes gegen Berufspflichten für Pflegekräfte“ gibt.

Zum Kommunikationsdesaster scheint der dritte Fall vor allem für die Ärztekammer zu werden. Ein niedergelassener Pathologe hatte sich dort 2012 über eine Dermatologie-Oberärztin an den Unikliniken beschwert, die ihm angebliche Fehldiagnosen vorwarf. Die Kammer begnügte sich offenbar mit einem Schlichtungsverfahren. Dieser Vorgang wurde erst in den letzten Tagen bekannt – nicht über die Kammer, sondern über die Klinik. Zwei Jahre später baute der Pathologe unter Medikamenteneinfluss einen Unfall und wurde zu einer Geldstrafe sowie achtmonatigem Führerscheinentzug verurteilt. Die Staatsanwaltschaft informierte die Ärztekammer, vergaß jedoch die fällige Mitteilung an die Approbationsbehörde. Der Arzt wurde in das Interventionsprogramm für suchterkrankte Kammermitglieder aufgenommen.

Staatsanwaltschaft räumt Fehler ein

Vor wenigen Wochen stellte nun eine Chefärztin für Rechtsmedizin einer Saarbrücker Klinik Strafanzeige wegen des Verdachts auf mehrfache falsche Diagnosen, die zu überflüssigen oder auch unterlassenen Krebsoperationen geführt hätten. Es folgten Wohnungs- und Praxisdurchsuchungen und eine Anordnung zum sofortigen Ruhen der Approbation.

Während die Staatsanwaltschaft ihren Informationsfehler rasch einräumte, ist es dieses Mal die Ärztekammer, die möglichst jeden Fehler abstreitet. Zunächst schob sie einem vor vier Jahren verstorbenen Suchtmediziner die Schuld dafür zu, dass die Approbationsbehörde über die Suchtproblematik des Pathologen nicht informiert worden sei. Der betreuende und programmverantwortliche Arzt habe nämlich versäumt, der Kammer kritische medizinische Befunde aus dem Abschlussbericht der stationären Reha-Behandlung weiterzureichen. Bei positiver Beurteilung ist nach Auffassung von Kammerpräsident Dr. Josef Mischo „eine Information der Approbationsbehörde nicht erforderlich“. Tatsächlich geht aber aus dem von der Kammer selbst 2011 veröffentlichten Diagramm zum Ablauf des Hilfsprogramms eindeutig hervor, dass bereits nach Klärung einer therapiebedürftigen Suchterkrankung die Behörde informiert werden muss, diese aber bei positivem Fortgang keine approbationsrechtlichen Schritte einleitet.

Als Sofortmaßnahme hat die Kammer ein Vier-Augen-Prinzip im suchttherapeutischen Programm eingeführt und ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren aufgenommen. Eine weitere offene Flanke der Kammer: Inzwischen räumte sie auf Anfrage der „Saarbrücker Zeitung“ ein, dass sie schon im Frühjahr 2018 auf mögliche Fehldiagnosen aufmerksam gemacht wurde. Die Öffentlichkeit sollte davon offenbar möglichst nichts erfahren.

Andererseits verwies Mischo zur Entlastung der Ärztekammer darauf, dass der Pathologe bis 2019 „beanstandungslos“ in der Qualitätssicherungskommission der KV mitgearbeitet habe. Dort will man noch einmal unter Einschaltung externer Fachleute Gewebeproben überprüfen.

Stumpfes Schwert Führungszeugnis?

  • Bei der Einstellung von Beschäftigten und danach alle vier Jahre müssen sich stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen im Saarland ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen lassen. Betroffen ist auch das Hilfspersonal.
  • 2017 wurde dies – nach mehreren Skandalen in Pflegeheimen – gesetzlich geregelt.
  • Auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ teilte das Gesundheitsministerium mit, kontrolliert werde „regelmäßig durch Abfragen bei örtlichen Prüfungen“. Bisher habe es keine Beanstandung gegeben. Einsichtnahmen vor Ort seien aber aus Datenschutzgründen nicht möglich. Auch für Krankenhäuser werde derzeit eine vergleichbare gesetzliche Vorgabe vorbereitet.
  • Praktiker sind allerdings skeptisch, ob Führungszeugnisse zeitnah vor „schwarzen Schafen“ schützen: Wechseln diese vor oder zügig nach einem Urteil in eine andere Einrichtung, sind die Verfehlungen in der Regel noch nicht im Zentralregister erfasst und werden dem neuen Arbeitgeber möglicherweise erst nach Jahren bekannt.
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