"Kürzere Wartezeiten - das geht dann zu Lasten der Qualität"

Die Diskussion um zu lange Wartezeiten von Patienten beschäftigt die Ärzte. Für den Essener Orthopäden Dr. Ramin Nazemi gehen die Forderungen nach Sanktionen an der Realität vorbei.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

KÖLN. Eine orthopädische Gemeinschaftspraxis in Essen-Werden: Zwei niedergelassene Ärzte versorgen dort im Quartal 3770 gesetzlich versicherte Patienten.

Hinzu kommen Privatpatienten und Sportler, die über die Berufsgenossenschaft versichert sind.

"Die Zeit, die wir für die Behandlung unserer Patienten haben, ist extrem knapp", berichtet Dr. Ramin Nazemi, einer der beiden Orthopäden. Die Abläufe in der Praxis seien streng getaktet.

Kein Verständnis für Bahrs Forderung

Für die Forderung von Gesundheitsminister Daniel Bahr, dass niedergelassene Fachärzte die Wartezeiten für Patienten reduzieren müssen, hat Nazemi da wenig Verständnis. Sie kommt ihm sehr realitätsfern vor.

"Es ist theoretisch möglich, dass wir noch mehr Patienten behandeln und die Wartezeit für den Einzelnen kürzer wird", sagt er. "Aber das muss dann zu Lasten der Qualität gehen."

"Das passt nicht zusammen"

Noch vor wenigen Wochen hätten die Kassen, die jetzt nach Sanktionen gegen Fachärzte mit langen Wartezeiten rufen, geklagt, dass es viel zu viele Ärzte gebe. "Das passt nicht zusammen", betont der Essener Orthopäde, der im Vorstand des Ärztenetzwerks Orthonet-NRW sitzt.

Die aktuellen Debatten zeigen seiner Ansicht nach erneut, dass in der Gesundheitspolitik eine praxisorientierte rote Linie fehlt. "In vier Wochen wird wieder eine neue These durch die Nachrichten gehen, die wieder nicht der Realität entspricht", sagt er.

Völlig falsches Bild von der Tätigkeit der Fachärzte

Die Klage über zu lange Wartezeiten suggeriere ein völlig falsches Bild von der Tätigkeit der Fachärzte. "Solche Behauptungen unterstellen, dass wir uns zwei Stunden Zeit für die Kassenpatienten nehmen, dann Hunderte von Privatpatienten versorgen und schließlich auf den Golfplatz gehen." Das habe mit dem wirklichen Leben in der Arztpraxis nichts zu tun.

Auch in seiner Gemeinschaftspraxis, die seit 1. Juli um eine Kollegin erweitert wurde, kämen Privatpatienten schneller dran, sagt er. Für sie gebe es aber Extra-Sprechstunden. "Deshalb muss kein gesetzlich Versicherter länger warten."

Zudem sei die Menge an therapeutischen und diagnostischen Leistungen, die niedergelassene Ärzte in der GKV erbringen können, durch die Regelleistungsvolumina begrenzt. Wenn die Mediziner darauf hinweisen, werde ihnen das immer als Angst ums eigene Honorar ausgelegt, beklagt Nazemi. "Was wir aber befürchten, sind qualitative Einschnitte in die Versorgung."

"Notwendig, wirtschaftlich und ausreichend"

Es sei schwer, den Patienten deutlich zu machen, dass - entgegen aller Behauptungen - die GKV längst nicht mehr alle Leistungen bezahlt. Deshalb habe das Orthonet eine Liste von Leistungen erarbeitet, die den gesetzlichen Vorgaben "notwendig, wirtschaftlich und ausreichend" entsprechen.

Die Liste werde zurzeit juristisch überprüft, sagt er. Sie enthalte keine individuellen Gesundheitsleistungen. "Es geht um Leistungen, die zwar zum GKV-Leistungskatalog gehören, die aber wegen der wirtschaftlichen Zwänge kaum noch zur Anwendung kommen", sagt Nazemi.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Manchmal kommt Künstliche Intelligenz ziemlich abstrakt daher. Doch es gibt zunehmend auch konkrete Anwendungen, sogar für Arztpraxen.

© 3dkombinat - stock.adobe.com

Praxisorganisation

Mit KI zu mehr Entlastung fürs Praxisteam

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Lungensurfactant

Warum Seufzen der Atmung gut tut

Lesetipps
Der Rücken eines Mannes mit Gürtelrose zeigt Vesikel.

© Chinamon / stock.adobe.com

Alter für Indikationsimpfung herabgesetzt

STIKO ändert Empfehlung zur Herpes zoster-Impfung