Krankenhäuser

Notstand in Kinderkliniken: Warum freie Betten oft Mangelware sind

Den Kinderkliniken in Deutschland fehlt es an Personal und Geld. Viele Betten bleiben deshalb unbelegt. Die Fachgesellschaft DIVI hat dazu neue Zahlen vorgelegt. Eine Spurensuche nach den Gründen der Misere.

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Ein „Schutzengel“ hängt über den Betten im Perinatalzentrum der Klinik für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Essen. Die Lage an vielen Kinderkliniken ist Fachleuten zufolge kritisch.

Ein „Schutzengel“ hängt über den Betten im Perinatalzentrum der Klinik für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Essen. Die Lage an vielen Kinderkliniken ist Fachleuten zufolge kritisch.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Berlin. Jeden Tag aufs Neue müssen Ursula Felderhoff-Müser und ihr Team entscheiden, wie viele Kinder sicher in ihrer Kinderklinik versorgt werden können.

Denn es ist nicht selbstverständlich, dass es für jedes kranke Kind am Universitätsklinikum Essen auch ein freies Bett gibt. „Wir haben große Probleme, alle Kinder unterzubekommen“, sagt Felderhoff-Müser, die die Kinderklinik I in Essen leitet, zur aktuellen Situation Ende Februar. Zur Klinik gehören die Bereiche Früh- und Neugeborenenmedizin, Kinderintensivmedizin und Kinderneurologie.

„Wir in den Kinderkliniken tun alles dafür, dass Kinder nicht gefährdet werden. Wir weisen keine kranken Kinder ohne eine Erstversorgung ab“, sagt die Kinderärztin. Wegen des Bettenmangels komme es aber durchaus vor, dass Kinder für die weitere Behandlung in ein anderes Krankenhaus geschickt werden müssen – das durchaus weiter weg liegen kann. Dabei ist wichtig zu verstehen: Bettenmangel bedeutet nicht unbedingt, dass in der Klinik nicht ausreichend Betten stehen, sondern auch, dass es nicht genügend Personal für die Betreuung der Betten gibt.

Nur 65 Prozent der Intensivbetten für Kinder in Betrieb

Die Situation an der Kinderklinik I in Essen ist bei Weitem kein Einzelfall. Eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) im Februar ergab, dass am Stichtag der Befragung nur 65 Prozent der Intensivbetten für Kinder in Betrieb waren. Für die Umfrage seien 145 Kinderintensivstationen angeschrieben worden, von denen 91 antworteten.

Grund für die Engpässe bei der Versorgung von kritisch kranken Kindern seien der „eklatante Pflegemangel“ und „akute Krankheitsausfälle“. Dem Geschäftsführer der Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland (GKIND), Bernhard Hoch, gibt es deswegen immer häufiger Wackelkandidaten. Damit meint er Kinder, die aus Kapazitätsgründen vorerst zu Hause weiter versorgt werden.

Überall in Deutschland fehlen Fachkräfte. Doch in kaum einem Bereich ist der Mangel so groß wie in der Pflege. Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge blieben freie Krankenpflegestellen vergangenes Jahr im Schnitt 191 Tage lang unbesetzt. „Wir könnten durchaus noch jeweils zwei, drei Betten am Tag mehr betreiben, wenn wir das Pflegepersonal hätten“, sagt Felderhoff-Müser in Bezug auf die zwei Intensivstationen an ihrer Klinik.

Verstärkt die neue Pflegeausbildung den Mangel in der Pädiatrie?

Für Hoch ist auch die neue Pflegeausbildung schuld an dem Problem. Im Jahr 2020 wurden die bisherigen Berufsausbildungen der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zusammengeführt. Seitdem gibt es nur noch eine generalistische Ausbildung, die ermöglicht, in allen Versorgungsbereichen zu arbeiten.

Wer sich im Bereich Pädiatrie spezialisieren möchte, kann das seitdem nur noch durch eine Vertiefung im dritten Ausbildungsjahr tun. „Das wird aber viel zu wenig angeboten“, kritisiert der Kinderarzt. Dabei brauche es im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin eigentlich sogar mehr Personal als in anderen Bereichen. Das bestätigt auch Felderhoff-Müser.

Um einem Dreijährigen Blut abzunehmen, würden durchaus mal drei Mitarbeiter benötigt, erzählt die Ärztin. Es könne vorkommen, dass ein Fünfjähriger sich weigere, zum Abhören der Brust seinen Pullover ausziehen. Das erfordere deutlich mehr Zeit und Geduld als bei Erwachsenen.

Mehr Kinder mit chronischen Erkrankungen

Die schrumpfende Zahl an Einrichtungen ist laut Hoch ein weiteres Problem. 2022 gab es seinen Angaben zufolge 326 Abteilungen beziehungsweise Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland. Vor gut 30 Jahren seien es noch gut 440 gewesen.

Gleichzeitig steigt der Bedarf: „Wir haben viel mehr chronische Erkrankungen und seltene Erkrankungen“, sagt der GKIND-Geschäftsührer. Hinzu kommt, dass die Geburtenzahlen in Deutschland im Durchschnitt der letzten zehn Jahre gestiegen sind.

Es gelinge nur wenigen Kinderkliniken, die Einrichtung kostendeckend zu führen, sagt Hoch. Die Klinken würden nach Leistung bezahlt. Saisonbedingt führe das dazu, dass die Häuser im Sommer zum Teil deutlich weniger Geld verdienten als im Winter, wenn viele Kinder krank seien.

„Wir haben die große Befürchtung, dass einige Kinderkliniken schließen oder in die Insolvenz gehen müssen oder dass die Krankenhausträger Abteilungen schließen“, sagt Hoch. Deswegen fordern er und Felderhoff-Müser eine Grundsicherung der Finanzierung.

Wo sind die 300 Millionen Euro hingeflossen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat mehrere Regelungen umgesetzt, die die Versorgung von Kindern stabilisieren sollen. Ein Ende 2022 beschlossenes Gesetz legte fest, dass für Kinderkliniken 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro mehr fließen. Garantiert werden soll damit das Erlösvolumen der Vor-Corona-Zeit von 2019, auch wenn Kliniken nur 80 Prozent davon erzielen.

Hoch kritisiert, dass die Soforthilfen seinen Angaben zufolge allen Kliniken zugutekämen, die einmal ein Kind versorgt hätten. Für die reinen Kinderabteilungen bleibe dadurch weniger übrig. Laut Kinderärztin Felderhoff-Müser komme es zudem vor, dass das Geld verwendet werde, um Defizite auszugleichen, anstatt es für die Schaffung neuer Stellen oder Ausstattung zu verwenden.

Beide Mediziner sind davon überzeugt, dass die Gesellschaft es sich nicht weiter leisten kann, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden. Sie seien die Zukunft, sagt Felderhoff-Müser. (dpa)

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