Urteil

Petö-Therapie für behindertes Kind: Sozialhilfe muss zahlen

Das Landessozialgericht Essen wertet die bislang bei den Kassen nicht anerkannte Methode als Leistung der sozialen Teilhabe.

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Bei der Petö-Therapie steht der pädagogische Ansatz im Vordergrund. Behinderten Kindern soll dadurch der Schulbesuch erleichtert werden.

Bei der Petö-Therapie steht der pädagogische Ansatz im Vordergrund. Behinderten Kindern soll dadurch der Schulbesuch erleichtert werden.

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Essen. Behinderte Kinder sollen doch Anspruch auf Kostenübernahme der Petö-Therapie von der Sozialhilfe haben. Dies ist als Leistung zur sozialen Teilhabe möglich, „soweit keine rein medizinische Behandlung erfolgt ist“, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschied.

Die Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer unvollständigen Lähmung aller Extremitäten, einer Sprachstörung, Intelligenzminderung sowie Epilepsie. Sie besucht eine Förderschule und nahm seit 2015 an Blocktherapien in einem Zentrum für „konduktive Therapie nach Petö“ teil. Die Methode wurde in den 1940er Jahren von dem ungarischen Arzt und Erzieher András Petö entwickelt.

Nicht als GKV-Leistung anerkannt

Durch einen aktiven Lernprozess soll sie die motorischen Fähigkeiten von Kindern mit durch Hirnschäden entstandenen Lähmungen (Zerebralparese) verbessern. Als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist die Petö-Therapie bislang allerdings nicht anerkannt. Daher wird sie auch von der Sozialhilfe nicht im Wege der medizinischen Rehabilitation bezahlt. Im Streitfall hatte der Sozialhilfeträger die Therapie allerdings zunächst bezahlt. Die Übernahme der Kosten von knapp 2000 Euro für einen weiteren Therapieblock im Frühjahr 2018 lehnte er dann aber ab.

In einem vergleichbaren Fall hatte 2018 auch der Sozialhilfesenat des Bundessozialgerichts in Kassel eine Kostenübernahme durch die Sozialhilfe abgelehnt. Damals sahen sich die Kasseler Richter an die Feststellung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts gebunden, dass es sich um eine Leistung der medizinischen und nicht der sozialen Rehabilitation handelt.

Dem trat das LSG Essen nun entgegen. 2005 sei der Gemeinsame Bundesausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich gerade nicht um eine rein medizinische, einer physikalischen Therapie vergleichbare krankengymnastische Leistung handele, sondern der pädagogische Ansatz im Vordergrund stehe.

Ausnahmen denkbar

Daher könnten behinderte Kinder die Therapie grundsätzlich als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beanspruchen, urteilte das LSG. Ausnahmen seien denkbar, wenn im Einzelfall „der ganzheitliche heilpädagogische Ansatz nicht verfolgt, sondern eine rein medizinische Behandlung durchgeführt“ wurde. Dafür spreche im konkreten Fall aber nichts. Auch prognostisch sei davon auszugehen gewesen, dass die Petö-Therapie die Beschulungsfähigkeit der Klägerin verbessern und ihr den Schulbesuch erleichtern würde. Damit liege der Fall deutlich anders als bei früheren Entscheidungen, mit denen das LSG Essen die Kostenübernahme abgelehnt hatte.

So habe in einem Fall das Kind ausschließlich motorische Einschränkungen gehabt, bei einem weiteren seien die geistigen Einschränkungen derart schwer gewesen, dass auch die Petö-Therapie keine Fortschritte habe erwarten lassen. In seinem neuen Urteil hatte das LSG Essen die Revision nicht zugelassen, es ist bereits rechtskräftig. (mwo)

Landessozialgericht Essen, Az.: L 9 SO 271/19

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