Krebsforschung

USA und China in der Pole-Position

Wie Europa auch in der Onkologie zum selbstbewussten Mitspieler eines „Tripols“ werden kann, ist einer aktuellen Analyse zufolge eine der entscheidenden, vielleicht auch existenziellen Zukunftsfragen, die sich Europa stellen muss.

Von Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Nicht nur die personalisierte Forschung mit Zellkulturen bietet Wissenschaftlern in der Onkologie noch viel Potenzial. Zumeist findet die Forschung bisher in den USA und China statt.

Nicht nur die personalisierte Forschung mit Zellkulturen bietet Wissenschaftlern in der Onkologie noch viel Potenzial. Zumeist findet die Forschung bisher in den USA und China statt.

© Britta Pedersen / dpa

Wien. Solitär betrachtet, bilden die USA sowie China – Taiwan wird hier subsumiert – als einzelne Staaten die Speerspitze der globalen onkologischen Forschung.

Das geht aus der aktuellen Analyse „Zentrum oder Peripherie? Europas Stellung in der globalen Forschungslandschaft – eine Netzwerkanalyse am Beispiel der Onkologie“ des Wiener Forschungsinstituts FAS im Auftrag von Pfizer hervor, die der „Ärzte Zeitung“ vorliegt.

„Misst man die wissenschaftliche Produktivität einzelner Länder an der Zahl der Standorte von klinischen Studien und der Zahl von wissenschaftlichen Einrichtungen, die an Publikationen beteiligt sind, so belegen die USA und China im internationalen Ranking die Spitzenplätze“, heißt es in der Analyse.

Bei Forschungs-Output auf Augenhöhe

Europa dürfe aber keineswegs in seiner Bedeutung für die Krebsforschung kleingeredet werden, so die Autoren. Denn: „Deutschland und weitere europäische Länder folgen mit einigem Abstand.

Betrachtet man jedoch Europa als Ganzes, so zeigt sich ein anderes Bild: Zwar sind die USA und China in der globalen Krebsforschung weiterhin führend, doch Europa liegt beim Forschungs-Output nicht weit zurück. Die Anteile am weltweiten Forschungs-Output, die auf die USA, China und Europa entfallen, haben einen ähnlichen Umfang.“

Für die Europäer lohne es sich, in ihre eigenen Forschungen zu investieren und die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern voranzutreiben. Das europäische Forschungscluster habe somit ein großes Potenzial. Doch dürfe sich Europa auf diesen – heimlichen – Lorbeeren nicht ausruhen, mahnt FAS-Leiter Harald Katzmair.

„Die Ergebnisse machen die Dynamik der Verschiebungen in den nationalen und transnationalen onkologischen Forschungsnetzwerken in bis dato nicht da gewesener Form sichtbar. Es lässt sich nachdrücklich am Beispiel der Onkologie verdeutlichen, was Globalisierung heute bedeutet: die Entwicklung eines massiven ‚Duopols‘, das aus den USA und China besteht – zweier Zentren, gegenüber denen Europa sich immer mehr zur Semiperipherie zu entwickeln droht.

New York ist der Top-Forschungsstandort

Wie Europa auch in der Onkologie zum selbstbewussten Mitspieler eines ‚Tripols‘ werden kann, ist eine der entscheidenden, vielleicht auch existenziellen Zukunftsfragen, die sich Europa stellen muss“, prognostiziert Katzmair.

Die FAS-Netzwerk- und Resilienzanalyse der globalen wie nationalen Innovationssysteme im Feld der Onkologie beruht nach Institutsangaben unter anderem auf einer Zeitreihen-Auswertung (2012–2018) von Millionen wissenschaftlicher Publikationen, Zehntausender Patente, Clinical Trials sowie Biotech-Start-ups.

Im Ranking der 30 wichtigsten onkologischen Wissenschaftsstandorte befinden sich laut Analyse 20 Städte aus Nordamerika oder China. Daneben sind acht europäische Städte – London, Paris, Mailand, Barcelona, Heidelberg, Madrid, Rom sowie München – im Ranking vertreten sowie Tokio und Seoul.

New York ist als weltweit führender Forschungsstandort laut Analyse an 7,9 Prozent der untersuchten Veröffentlichungen und Studien beteiligt – gefolgt von Boston mit 7,6 Prozent. Heidelberg als bester deutscher Krebsforschungsstandort kommt zum Beispiel auf 2,9 Prozent, München als zweiter unter den globalen Top 30 auf 2,3 Prozent.

Karolinska-Institut führende europäische Einrichtung

Bei der Betrachtung der onkologischen Forschung auf Mikroebene finden sich laut Analyse – gemessen an der Zahl der klinischen Studien und der wissenschaftlichen Publikationen – unter den 30 in der Onkologie produktivsten Forschungseinrichtungen weltweit nur zwei aus Europa.

Dabei handelt es sich um das Karolinska-Institut in Stockholm mit 1635 und das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg mit 1542 Publikationen.

Mit 5322 Publikationen mit weitem Abstand führend nimmt das University of Texas MD Anderson Cancer Center in Houston den ersten Platz ein – aus dessen Reihen stammt der Radioonkologe und neue FDA-Chef Dr. Stephen Hahn. Mit 3928 Publikationen an zweiter Stelle weltweit folgt die Sun Yat-sen University in Guangzhou.

USA – Meister der „endogamen“ Forschungszusammenarbeit

In der Analyse nimmt das FAS Institut auch die Ausgestaltung der Forschungskooperationen innerhalb der untersuchten Staaten unter die Lupe. Dabei zeigt sich, dass in den Vereinigten Staaten von den insgesamt 201.448 onkologischen Forschungskooperationen mit 148.530 73,7 Prozent mit Partnern innerhalb der USA erfolgen.

Die Studie spricht hier von „endogamer“ Forschungskooperation – kleinere Forschungsstandorte seien eher auf internationale Zusammenarbeit angewiesen und verhielten sich damit „exogam“.

Wenig überraschend, folgt China mit 61,2 Prozent endogamer Forschungskooperation weltweit auf Platz zwei. Deutschland kommt mit einem Anteil von 37,6 Prozent auf Platz vier – nach Frankreich mit 39,1 Prozent.

Die mit Blick auf die onkologischen Forschungskooperationen exogamsten Länder sind demnach Norwegen mit 93,7 Prozent vor Österreich mit 92 Prozent und Finnland mit 91,9 Prozent.

Brexit-Folgen noch unklar

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU könnte sich die europäische onkologische Forschungslandschaft eventuell neu aufstellen, prognostizieren die Studienautoren. „Forschungsstandorte in Städten in Großbritannien sind ein wichtiges verbindendes Element zwischen Nordamerika und Kontinentaleuropa.

Der Brexit wird weitreichende Konsequenzen für die Krebsforschung in Großbritannien, Europa und weltweit nach sich ziehen, die derzeit noch kaum absehbar sind“, heißt es.

Und weiter: „Es ist unklar, ob Forschungseinrichtungen in UK nach dem Brexit weiter ihre Rolle als verbindendes Element und Katalysator in der weltweiten Krebsforschung spielen werden. Im schlechtesten Fall verliert Europa einen Teil seiner Verbindungen zur US-amerikanischen Forschung, die bisher über Großbritannien laufen.“

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