HINTERGRUND

Ein polyzystisches Ovarsyndrom verursacht nicht nur Schönheitsfehler

Von Helga Brettschneider Veröffentlicht:

"Das polyzystische Ovarsyndrom ist die unbekannteste Volkskrankheit", sagt Dr. Susanne Hahn, Endokrinologin aus Wattenscheid. Mindestens eine Million Frauen in Deutschland sind nach ihren Angaben davon betroffen.

Die Entstehung des polyzystischen Ovarsyndroms, kurz PCOS, ist wahrscheinlich stark genetisch bedingt, denn das Syndrom tritt familiär gehäuft auf. Typisch für das PCOS sind eine zu seltene oder fehlende Monatsblutung, erhöhte Androgen-Werte und polyzystische Ovarien. Für die Diagnose PCOS müssen zwei dieser drei Kriterien erfüllt sein.

    Frauen mit Kinderwunsch können von einer Metformin-Therapie profitieren.
   

Polyzystische Ovarien liegen vor, wenn sich in jedem Ovar mindestens zwölf kleine Follikel mit einem Durchmesser von 2 bis 9 mm befinden oder das ovarielle Volumen erhöht ist, das heißt mehr als 10 ml beträgt. Die erhöhten Hormonwerte beruhen auf verstärkter Androgenbildung in Ovarien und Nebennierenrinden.

Hyperinsulinämie als Folge von Insulinresistenz treibt die Produktion weiter an. Optisch auffällig werden Frauen mit Hyperandrogenämie bei PCOS durch Akne, Haarausfall oder Hirsutismus. Nicht alle diese Symptome liegen aber bei allen PCOS-Patientinnen gleichzeitig vor. Das männliche Behaarungsmuster etwa kann das Gesicht, den Bereich um die Brustwarzen oder den Bauchbereich betreffen.

Viele Frauen mit PCOS sind adipös oder insulinresistent

Das Zuviel an männlichen Sexualhormonen führt nicht nur zu Schönheitsfehlern, viele Frauen mit PCOS sind zudem adipös oder haben eine Insulinresistenz. Ihr Risiko für Typ-2-Diabetes ist siebenfach erhöht, und sie entwickeln meist schon in jungen Jahren ein metabolisches Syndrom, sagte Hahn bei der Tagung der rheinlandpfälzischen Diabetologen und Endokrinologen in Mainz. Außerdem sind viele Frauen mit PCOS infertil.

Insulinresistenz und metabolisches Syndrom treffen Frauen mit PCOS besonders früh. Das belegen Daten einer Studie mit 461 Frauen. Darin hatte jede zweite Frau mit PCOS einen BMI über 30 kg/m². Hyperton waren 40 Prozent. Genauso viele hatten zu niedrige HDL-Werte und 56 Prozent zu hohe LDL-Werte. Dabei betrug das mittlere Alter der untersuchten Frauen nur 28 Jahre. Zwei Drittel der Studienteilnehmerinnen hatten eine Insulinresistenz.

PCOS sollte deshalb Anlaß für regelmäßige Diabetes-Tests sein, sagte Hahn. Drei Prozent der jungen Frauen hatten bereits Typ-2-Diabetes. Ein Drittel erfüllte schon das Vollbild des metabolischen Syndroms - von den über 35jährigen sogar jede zweite. Vielen Frauen mit PCOS kann daher bereits eine Gewichtsreduktion helfen.

Kontrazeptiva helfen bei Akne, Alopezie und Hirsutismus

Bei Akne, Alopezie und Hirsutismus kommen Kontrazeptiva mit antiandrogener Wirkung in Betracht. "Sie können antiandrogene Pillen auf Kassenrezept verschreiben, wenn Sie die Diagnose dazuschreiben", so Hahn.

Standard sei derzeit Cyproteronacetat, das zur Behandlung bei ausgeprägten Androgenisierungs-Erscheinungen wie Akne, Hirsutismus und Alopezie zugelassen ist. Auch niedrig dosiertes Dexamethason, das unter anderem bei schweren Hauterkrankungen indiziert ist, könne bei Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom nützlich sein.

Andere Therapien seien in Deutschland nicht zugelassen und nur als Off-label-Heilversuch möglich, sagte Hahn. Die Kosten müßten daher die Frauen tragen.

Empfohlen werden etwa 100 mg Spironolacton täglich bei Hirsutismus. Bei Alopezie kommen Flutamid (62,5 mg/Tag) und Finasterid (2,5 mg/Tag) in Frage. Derartige Therapien müßten mit einer sicheren Verhütung kombiniert werden, so Hahn.

Um Übergewicht, Insulinresistenz und metabolischem Syndrom zu Leibe zu rücken, sind Gewichtsreduktion und regelmäßiger Sport nötig. Geht die Insulinresistenz zurück, lindert dies auch die Hyperinsulinämie und senkt als Folge auch die Androgenspiegel. Der Zyklus bessert sich. Das genügt bei einigen Frauen, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch sind deshalb fürs Abnehmen und für sportliche Aktivitäten gut motivierbar.

Diskutiert wird derzeit auch über eine Therapie mit Metformin bei PCOS. Metformin mindert die Insulinresistenz. Hahn dosiert einschleichend und nach Gewicht: zweimal 850 mg täglich für Frauen über 60 kg, zweimal 1000 mg ab 100 kg oder einem BMI über 30. Mit einer solchen Behandlung gehen Androgenspiegel und Akne zurück, und der Zyklus normalisiert sich.

Von Metformin scheinen besonders Frauen mit Kinderwunsch zu profitieren. Denn mit Metformin ist die Ovulationsrate so gut wie bei dem oft genutzten Clomiphen, aber die Rate der Frauen, die schwanger werden, ist höher. Metformin muß bei PCOS jedoch off-label verwendet werden - eine Einverständniserklärung der Frauen ist daher ratsam.

Bislang gebe es keine Hinweise auf eine erhöhte Fehlbildungsrate bei Kindern von Frauen, die Metformin erhalten hatten. Dennoch rät Hahn aufgrund bislang fehlender Daten dazu, das Präparat während der Schwangerschaft abzusetzen.

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