HINTERGRUND

Chest Pain Unit - was in USA schon Routine ist, wird jetzt in Deutschland aufgebaut

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Beim Herzinfarkt kommt es auf jede Sekunde an.

Beim Herzinfarkt kommt es auf jede Sekunde an.

© Foto: AOK

Theoretisch weiß selbst ein medizinischer Laie: Bei einem Herzinfarkt kommt es auf jede Minute an. Praktisch dauert es im Durchschnitt zwölf Stunden, bevor klar ist, ob ein akuter Brustschmerz seine Ursache in einem akuten Koronarsyndrom hatte oder nicht. Diese Zeit wollen Kardiologen drastisch verkürzen. Den Königsweg dahin scheinen hoch spezialisierte Brustschmerzzentren zu sein, neudeutsch Chest Pain Units (CPU).

Es reiche nicht, an einzelnen Faktoren zu arbeiten, die die Versorgung von Herzinfarkt-Patienten verzögern, meint Professor Thomas Münzel von der Universitätsklinik in Mainz. Münzel leitet eine der ersten Chest Pain Units in Deutschland und verweist auf Analysen aus den USA und Großbritannien.

Demnach führt die Kombination von Technik sowie von spezialisierten Ärzten und Krankenpflegepersonal zu einer signifikant rascheren Diagnostik und Therapie der Akutpatienten. So wurden in den USA 30 Prozent mehr diagnostische Herzkatheteruntersuchungen gemacht und 25 Prozent mehr Patienten erhielten eine Koronardilatation als bei einer Standardversorgung.

Die Infarktletalität im Krankenhaus werde so um 37 Prozent reduziert ("Deutsche Medizinische Wochenschrift" 133, 2008, 10). Und aus gesundheitsökonomischer Sicht sparten CPUs Geld, sagt Münzel.

Etwa 50 CPU gibt es bereits in Deutschland

Nach Angaben der Society of Chest Pain Centers soll es in den USA bereits an jedem dritten Krankenhaus eine CPU geben. In Deutschland ist man noch in der Aufbauphase solcher Einheiten. 45 bis 50 CPU gebe es bereits, schätzt Münzel, wobei unklar ist, welche Standards sie im Einzelnen erfüllen. Die Sinnhaftigkeit von CPUs belegen erste Daten.

So betreut die Mainzer CPU seit 2006 etwa 1600 Patienten pro Jahr. Bei knapp der Hälfte davon liegt ein kardiales Problem vor und fast alle diese Patienten erhalten kurzfristig eine Herzkatheteruntersuchung. Bei der Hälfte der im Katheterlabor untersuchten Patienten stelle man die Diagnose Herzinfarkt, so Münzel.

Bis geklärt ist, ob thorakale Schmerzen ihre Ursache in einem Herzinfarkt haben, dauert es in Mainz nur noch sechs statt zwölf Stunden. Zudem hat sich die Liegezeit kardial erkrankter Patienten von zuvor 3,5 Tagen auf 2,3 Tage verkürzt.

Das verdeutlicht, dass die CPU auch eine Art Torwächterfunktion hat. Patienten mit akutem Koronarsyndrom sollen möglichst schnell ins Katheterlabor gebracht werden - liegt ein Myokardinfarkt vor, erfolgt die weitere Behandlung auf der Intensivstation. Haben die Brustschmerzen jedoch eine harmlose Ursache, können die Patienten rasch wieder entlassen werden, eventuell ist eine ambulante Diagnostik bei niedergelassenen Kollegen möglich.

Andere Patienten in kardialen Notsituationen wie hypertensiver Krise oder mit Herzrhythmusstörungen werden an spezialisierte Abteilungen weiter verwiesen. Innerhalb von sechseinhalb Stunden haben die Patienten in Mainz die CPU durchlaufen. Vor allem die rasche und effektive Versorgung sowie die kurzen Liegezeiten haben dazu geführt, dass sich die Investitionen von 200 000 Euro innerhalb eines halben Jahres wieder amortisiert haben. Es sei in der CPU viel einfacher EKG, Laboruntersuchungen, Echokardiografie vorzunehmen sowie zum Herzkatheter zu überweisen, als die komplette Diagnostik von der Station aus zu organisieren, sagt Münzel.

Rettungsdienst weist gezielt Patienten ein

Dass CPUs auch im niedergelassenen Bereich funktionieren können, zeigen Erfahrungen von Kollegen am Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt am Main, die ihre ersten Erfahrungen publiziert haben (Deutsches Ärzteblatt 104 (27), 2007, A1988). Privatdozent Dr. Bernd Nowak weist unter anderen darauf hin, dass die Einrichtung der CPU eine gezielte Einweisung über den Rettungsdienst zur Folge hatte, nämlich bei drei von vier Patienten. In allgemein-internistischen Notaufnahmen dagegen stellen sich 46 Prozent der Patienten selbstständig vor, was zu Zeitverzögerungen führt.

Doch es gibt auch Kritik. Manche Einrichtung nenne sich CPU, obwohl manche Voraussetzung nicht erfüllt sei, heißt es. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) erarbeitet deshalb derzeit Standards. Nach Ansicht von Münzel sind vor allem diese Qualitätsmerkmale wesentlich:

  • 24-Stunden-Bereitschaft,
  • Vorhalten der kompletten invasiven Diagnostik einschließlich Echokardiografie und Ergometrie,
  • das gesamte Personal ist kardiologisch geschult
  • das Herzkatheterlabor muss sich in der Nähe befinden.

Ein Problem ist mit den CPUs jedoch nicht zu lösen, nämlich dass es zu lange dauert, bis Patienten den Notarzt rufen. Im Moment beobachtet man sogar eine Zunahme der Prähospitalzeiten.

Gründe für Verzögerungen im Notfall

Faktoren, die die rasche Therapie beim Myokardinfarkt verzögern:

  • lange Prähospitalzeit
  • zu spätes Schreiben eines EKG
  • unkorrekte EKG-Auswertung
  • verzögerte Herzkatheteruntersuchung
  • verzögerte Entscheidung über medikamentöse Therapie
  • späte Konsultation eines Kardiologen, zum Beispiel, weil kein Kardiologe anwesend ist
  • fälschlicherweise Entlassung aus Notaufnahme (ner)

(Quelle: modif. nach F. Post, S. Genth-Zotz, T. Münzel: Aktueller Stellenwert einer Chest Pain Unit in Deutschland. Herz 5, 2007, 435)

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