Grafschaft Bentheim im Blick

Dem Brustkrebsgen auf der Spur

135.000 Menschen leben im niedersächsischen Bentheim. Für zehn Familien interessieren sich Forscher aber besonders: Mit ihnen können sie das Brustkrebsgen BRCA1 weiter entschlüsseln.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Die Mutation BRCA1 erhöht das Risiko für Brustkrebs.

Die Mutation BRCA1 erhöht das Risiko für Brustkrebs.

© detailblick/fotolia.com

HANNOVER. Das Institut für Zell- und Molekularpathologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat in einem Landkreis an der Grenze zu Holland Familien mit erhöhtem erblichen Eierstock- und Brustkrebsrisiko identifiziert.

Die Mutation BRCA1 bei Familien in der Grafschaft Bentheim an der holländischen Grenze, so vermuten die Forscher an der MHH, dürfte vor rund 200 Jahren in Holland erstmals aufgetreten sein.

"Aufgrund der ausgeprägten Regionalität und der daraus folgenden geringen Vermischung des Genpools in der Grafschaft hat sich eine bis heute relativ regionale stabile Gruppe herausgebildet", sagt Patricia Steiner von der MHH der "Ärzte Zeitung".

"Geschlossener" Genpool ist selten

So trennt die Grenze die Grafschaft von den Niederlanden und der Umstand, dass die Grafschaft eine evangelisch reformierte Enklave ist, trennt sie traditionell vom ansonsten katholischen Umland.

Auch das dürfte zur heute selten gewordenen Geschlossenheit der Bevölkerung beigetragen haben. Normalerweise tragen fünf bis zehn Prozent aller Frauen mit Brustkrebs die Mutation BRCA1. "Bei einigen Familien in der Grafschaft ist sie aber weiter verbreitet", sagt Steiner.

Allerdings schlägt sich dieses Ergebnis nicht in den Zahlen des Niedersächsischen Krebsregisters nieder.

So lag etwa die Inzidenz von Brustkrebs-Neuerkrankungen im Landkreis Bentheim im Jahr 2010 bei 122,7 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnerinnen. Niedersachsenweit lag der Wert bei 126,5.

Zwar war die Neuerkrankungsrate 2009 mit 150,6 und 2008 mit 142,4 höher als im jüngsten Berichtszeitraum des Krebsregisters 2010. Aber das waren keineswegs die höchsten Werte in Niedersachsen.

Kein Wunder, sagt Steiner. Es handele sich um zehn Familien, nicht um die ganze Region. "Und der Phänotyp muss auch nicht Brustkrebs sein", sagt Steiner. "Sondern die Mutation kann sich auch in mehr Eierstock- oder Eileiterkrebserkrankungen zeigen."

Auch bei Männern in der Grafschaft sei das Krebsrisiko höher, so die MHH-Forscher, etwa bei Magen-, Darm-, oder Pankreaskrebs. Zudem seien die Erkrankungen der älteren Frauen noch nicht in den Statistiken des Krebsregisters erfasst und würden es auch nie.

Für Forscher hoch spannend

Bereits 2005 sei eine Familie aus der Region zu der Beratungsstelle an der MHH gekommen und wollte sich genetisch untersuchen lassen. "Da haben wir etwas festgestellt und sind auf die Region aufmerksam geworden."

Die Situation sei aus Sicht der Forscher "hoch spannend", wie Steiner sagt, "wenn sich noch mehr Menschen untersuchen lassen, könnte man sogar die niederländische Gründergruppe identifizieren".

Vor allem wollen die Forscher herausfinden, unter welchen Umständen aufgrund der BRCA1-Mutation welche Erkrankung mit welchem Risiko auftreten kann. "Und genau das wollen die Ratsuchenden auch wissen", sagt Steiner.

Die MHH-Beratungsstelle arbeitet seit 2001 und ist eines von 15 Zentren in Deutschland, die sich nach den gleichen Leitlinien richten. Die Ratsuchenden werden ausführlich nach dem Krankheitsgeschehen in ihren Familien befragt.

Die Forscher fertigen Familienstammbäume an. "Wir koppeln ein Stammbaumprogramm mit einem Risikokalkulationsprogramm," berichtet Steiner, "so errechnen wir praktisch das Risiko per Computer."

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