Europäischer Gesundheitskongress

Radikale Klinik-Reformen als Blaupause?

Ist die kleinteilige Klinikstruktur in Deutschland noch zu halten? Experten mahnen ein Umdenken an. Dabei schielen sie mal bewundernd, mal mit Entsetzen nach Dänemark.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Das Rigshospitalet in Kopenhagen, mit über 1100 Betten noch die zweitgrößte Klinik in Dänemark. Doch die Dänen schrauben gerade gewaltig an ihrer Klinikstruktur: Von 56 Standorten sollen 21 übrig bleiben.

Das Rigshospitalet in Kopenhagen, mit über 1100 Betten noch die zweitgrößte Klinik in Dänemark. Doch die Dänen schrauben gerade gewaltig an ihrer Klinikstruktur: Von 56 Standorten sollen 21 übrig bleiben.

© SCANPIX DENMARK / X02352 / REUTE

MÜNCHEN. Etwa 320 Spezial-Kliniken mit optimaler Ausstattung und Personal – ist das die Kliniklandschaft der Zukunft? Beim Europäischen Gesundheitskongress in München diskutierten Experten das am vergangenen Donnerstag kontrovers.

Professor Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, argumentierte für weniger, aber dafür gute Kliniken.

„Wir müssen uns fragen: Wollen wir kleine, schlechte Krankenhäuser um die Ecke haben, oder wollen wir einige Minuten fahren zu Krankenhäusern mit guter Qualität“, so Busse. Das Land könne eine Umstrukturierung bewältigen. Deutschland brauche weder die rund 1900 Kliniken noch eine halbe Million Betten.

Wohnortnähe als Vorteil?

Diese kleinteilige Struktur werde oft damit gerechtfertigt, Notfälle wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle wohnortnah zu behandeln. Das aber sei medizinisch keineswegs das Beste. So hätten fast zwei von drei Kliniken keine Koronar-Angiografie und eines von drei keine Computertomografie.

Damit entfielen wichtige Elemente für Herzinfarkt- und Schlaganfallversorgung. Hinzu komme, dass Fachärzte oft erst aus der Rufbereitschaft geholt werden müssten und ein Großteil der Kliniken nur kleine Fallzahlen etwa bei der Behandlung von Patienten mit Herzinfarkten aufweise.

Für die Patienten aber seien die Ergebnisse dort besser, wo pro Jahr wenigstens einige hundert Herzinfarktpatienten behandelt würden. Es gebe dann bis zu einem Drittel weniger Sterbefälle. Bei vielen ambulant behandelbaren Patienten würde dagegen in Deutschland immer noch zu viel stationär behandelt. Das vergeude Ressourcen.

 „Der Strukturwandel ist unvermeidlich“, sagte Dr. Ralf Langejürgen, Leiter des Verbandes der Ersatzkassen in Bayern. Bürger seien durch qualitative Aspekte sehr wohl zu überzeugen. „Das versteht jeder, dass er dreißig Kilometer fahren muss statt zwanzig Kilometer“, betonte Langejürgen.

„Wir haben eine gewachsene Struktur in Deutschland“, entgegnete Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Viele Bürger wollten die wohnortnahen Kliniken behalten, die zudem Geld und Arbeitsplätze in die Region brächten. Solle es Änderungen geben, müssten sich zudem die Zuständigkeitsebenen in Kommune, Land und Bund einigen. In den Gemeinden sei das Thema unpopulär.

Es droht die Abwahl-Keule

„Es sind Kollegen abgewählt worden, weil sie Krankenhäuser geschlossen haben“, sagte Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistages. Das erkläre, warum sich Politiker zurückhielten. Gegen Umstrukturierungen stellte sich Bernreiter aber nicht.

Es müssten bei Änderungen die regionalen Bedarfe berücksichtigt werden. „Wir müssen Häuser festlegen, die unabdingbar sind, und solche, wo wir uns etwas anderes vorstellen können“, so der Landkreistagspräsident.

So könnten kleine Krankenhäuser beispielsweise in Gesundheitszentren umgewandelt werden, statt sie zu schließen. „Wir müssen diese Diskussion standortbezogen führen“, ergänzte Hasenbein. Nur dann, wenn die Bevölkerung vor Ort mitziehe, könne ein Strukturwandel gelingen.

Setzen sich Bürger mit der Versorgung auseinander, kann das Änderungen sogar beschleunigen. So lautete das Fazit von Julian Weyer, Partner des dänischen Unternehmens C.F. Möller. Dieses ist beteiligt an der Umstrukturierung der Krankenhausversorgung in Dänemark.

Wenige, spezialisierte Großkliniken, Ausbau kleiner Häuser zu Unfallkliniken, oder Umwandlung in Gesundheitszentren – was dort zum Teil schon umgesetzt ist, ähnelt den Ideen hierzulande. „Es hat dieselben Diskussionen im Voraus gegeben“, so Weyer. Da seien es noch 56 Kliniken gewesen, statt der nun 21 Häuser (wir berichteten).

„Der Beschluss war, Qualität geht vor Nähe.“ Nun gibt es ein Krankenhaus für 265.000 Einwohner. Das größte davon in Aarhus ist inzwischen in Betrieb, die Umwandlung kleiner Häuser in Gesundheitszentren zu etwa zwei Drittel fertig.

Die Bürger hätten von sich aus begonnen, sich vor allem ambulant behandeln zu lassen, und bei Kliniken die universitären zu bevorzugen. Die neuen Strukturen würden akzeptiert. „Das wird grundsätzlich angenommen und funktioniert auch“, sagte Weyer.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zur Notfallreform: Zustimmung und Zweifel

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Ein Medikament unter vielen, das wenigen hilft? 2400 Wirkstoff-Kandidaten in der EU haben den Orphan-Drug-Status.

© artisteer / Getty Images / iStock

Wirkstoff-Kandidaten mit Orphan-Drug-Status

Orphan Drugs – Risiken für ein Modell

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa)
Ein junges Mädchen wird geimpft – gegen HPV? (Symbolbild mit Fotomodellen)

© milanmarkovic78 / stock.adobe.com

Vision Zero Onkologie

Die Elimination des Zervixkarzinoms

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Vision Zero e.V.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

5 Kriterien der Charité

ME/CFS-Diagnose: So gehen Sie in der Hausarztpraxis vor

Neuer Verschlüsselungsalgorithmus in der TI

gematik verlängert Frist für Austausch der E-Arztausweise

Lesetipps
Vier mittelalte Frauen laufen gemeinsam über eine Wiese und lachen.

© Monkey Business / stock.adobe.com

Wechseljahre

5 Mythen rund um die Perimenopause: Eine Gynäkologin klärt auf

Eine Frau hält sich den schmerzenden Nacken fest

© Kay Abrahams / peopleimages.com / stock.adobe.com

Neue Therapieoptionen

Fibromyalgie: Was bringen Apps, TENS und Cannabis?