Rettungsdienst

Im Südwesten wächst der Reformdruck in der Notfallversorgung

In Baden-Württemberg werden die Hilfsfristen schon seit Jahren gerissen. Die Regierung feilt an der Qualität der Rettungskette. Doch nun werden Rufe nach Strukturreformen lauter.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Zeitdruck lastet auf den Einsatzkräften, Reformdruck auf dem Landesinnenminister.

Zeitdruck lastet auf den Einsatzkräften, Reformdruck auf dem Landesinnenminister.

© Stephan Jansen / dpa

STUTTGART. In Baden-Württemberg gerät das Innenministerium wegen nicht eingehaltener Hilfsfristen beim Rettungsdienst unter Druck. Der Südwestrundfunk hat bis runter zur Gemeindeebene die Rettungsfristen verfolgt und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Landesregierung und die Verantwortlichen in den landesweit 34 Rettungsdienstbereichen.

Die kleinräumige Planung habe zur Folge, dass Gemeinden in Randbereichen schlechter versorgt würden als gleich große Kommunen, die in der geografischen Mitte eines Rettungsbezirks liegen.

Laut gesetzlicher Vorgabe dürfen ab dem Eingang der Notfallmeldung in der Integrierten Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort "möglichst nicht mehr als zehn, höchstens 15 Minuten" vergehen. Diese Messlatte soll in mindestens 95 Prozent der Einsätze eingehalten werden.

Allerdings verweist das Innenministerium immer darauf, diese Hilfsfrist sei nur eine "Planungsgröße", zumal allein der Blick auf die Minutenzahl keine Aussage über die bedarfsgerechte Versorgung zulasse.

Drehen an den Zahlen

Tatsächlich hat Baden-Württemberg bei der selbst gesetzten Hilfsfrist im Jahr 2016 nicht gut abgeschnitten: Nur in acht der 34 Rettungsdienstbereiche war der Rettungswagen wie vorgeschrieben in 95 Prozent der Fälle binnen einer Viertelstunde vor Ort.

Bei der Bekanntgabe der neuen Zahlen setzte das Innenministerium in einer Pressemeldung an die Stelle von 95 Prozent mal eben 90 Prozent – und konnte so vermelden, dass in 33 Regionen die Hilfsfrist von 15 Minuten eingehalten wird.

Dieses Verhalten hält nicht nur die Opposition im Landtag für symptomatisch beim Umgang mit diesem Thema. Das Rettungswesen in Baden-Württemberg sei in den vergangenen Jahren selbst zum Patienten geworden, erklärte die Björn Steiger Stiftung, die sich seit fast 50 Jahren für Verbesserungen im Rettungswesen einsetzt. Stiftungs-Geschäftsführer Ulrich Schreiner kritisiert insbesondere, dass Überschreitungen bei der Hilfsfrist keine Konsequenzen hätten.

In anderen Bundesländern würden in solchen Fällen Sanktionen gegen die Leistungserbringer des Rettungsdienstes verhängt. Das baden-württembergische Innenministerium als regulierende Behörde nehme diese Überschreitungen dagegen hin.

Blockierte Rettungswagen

Einen weiteren Strukturmangel sieht die Stiftung in der fehlenden Trennung von Notfallrettung und Krankentransport. Wird ein Genesender nach Hause transportiert, ist der Rettungswagen in diesem Zeitraum für Notfälle nicht verfügbar. Die Landesregierung hat im vergangenen Mai dieses Problem selbst zugegeben.

In der Vergangenheit sei die Anschaffung zusätzlicher Rettungswagen bei Maltesern, DRK oder Arbeiter-Samariter-Bund durch "die gleichzeitig steigenden Einsatzzahlen aufgezehrt" worden. Musste ein RTW im Jahr 2012 noch zu 909.000 Einsätzen ausrücken, so waren es 2016 bereits 1,063 Millionen.

Beeinflusst werde diese Entwicklung auch durch die "Ausdünnung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes", moniert die Regierung. Dies führe "offenbar dazu, dass Menschen in der Hoffnung auf schnelle Hilfe vermehrt auf den Rettungsdienst ausweichen".

Gesamte Rettungskette bedenken

Die Landesregierung will die Diskussion anstatt auf die Hilfsfrist lieber auf die gesamte Rettungskette lenken. Vor sieben Jahren ist daher im Südwesten die "Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg (SQR-BW) eingerichtet worden. Alle einschlägigen Leistungsanbieter müssen definierte Datensets an diese Stelle liefern. Der jüngste Bericht für 2016 lässt teils große Unterschiede erkennen. So dauert etwa die Erstbearbeitung des Notrufs in der Leitstelle im Median rund zwei Minuten, in Einzelfällen aber 4,5 Minuten.

Zwischen der Alarmierung und der Abfahrt des Rettungsteams vergehen im Schnitt 1,12 Minuten, manchmal auch mehr als drei Minuten. Entsprechend variiert auch die gesamte Prähospitalzeit, bis die Klinik erreicht wird. Im Median-Wert sind es 46,11 Minuten, gelegentlich aber auch mehr als 80 Minuten.

Ähnlich sieht es bei den Fahrtzeiten für RTW und Notarzt aus. Im Median vergehen sechs Minuten. In manchen Rettungsdienstbereichen vergehen lange 14 Minuten auf der Straße, bis der Einsatzort erreicht ist.

Indes sind alle diese Daten besser als bei Björn Steiger, dessen Eltern nach seinem Tod 1969 die gleichnamige Stiftung gründeten. Der Achtjährige musste fast eine Stunde warten, bis der Rettungswagen kam – zu spät.

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